Bipolarität und Schnitte

Die Verbindungslinien zwischen den bipolaren Enden unserer geistigen Weit sind die Sehnsüchte: schmale Stege, über die wir aus dem Elend ins Glück, aus der Dunkelheit ins Licht balancieren. Unter ihnen liegen die Abgründe unserer Seele, unseres Tuns oder unserer Unfähigkeit.

Die Bilder von Veronika Olma erzählen von diesen Sehnsüchten, scheinbar Unüberwindliches und Unvereinbares doch noch zu überwinden - indem sie eben Unvereinbares gegenüberstellen und dadurch aufheben. An diesen Schnittstellen wird die Sehnsuchts­brücke zwischen dem Menschen-Ort und dem Natur-Ort, zwischen dem Ort der Ödnis und dem Ort der Geborgenheit geschlagen. Die Bilder sind ein Plädoyer für das dialogische Prinzip in einer monologisierenden Weit, in der alle zwar von Kommunikation reden, aber solitäre Selbstdarstellung in einer Gemeinschaft von Monaden meinen.

Deshalb ist der Schnitt das verbindende Element dieser Bilder. Wer sich auf Ihn einlässt, muss zwangsläufig die Einsamkeit und Einseitigkeit seiner Betrachtungsweise verlassen und seinen Blick neu fokussieren, um die andere Seite des Möglichen wahrzunehmen. Dadurch verlässt er auch den Zustand des inneren Monologs. Mit der Technik der Bildeinteilung und der dadurch entstehenden Schnitte erzeugt Veronika Olma einen ambigen Zustand von Distanz, die gleichzeitig und paradoxerweise Nähe begreiflich macht.
Denn zu dieser Distanz gehört eben, um sie gleichzeitig bewahren und überwinden zu können, Nähe. Durch die Annäherung im Formalen an zitierte Bruchstücke von Kunstwerken einerseits und durch die Neuinterpretation im eigenen Schaffen andererseits ent­steht eine "durchwobene Distanz", die der Steg zwischen vermeint­lich unerreichbaren Orten ist.

Dieses Prinzip der Suche nach Dialogfähigkeit zwischen vermeintlich versunkenen oder versinkenden Weiten, zwischen irrtümlich inkom­patiblen Gefühls- und Daseinszuständen, ist durchgehend in allen Bildern präsent Wer die Schnitte entlang wandert, von Bild zu Bild, wird nicht umhin kommen zurückzukehren, um das Korrespondierende zu suchen - sei es in ein und demselben Gemälde oder zwischen verschiedenen.

Und wie im Alltagsleben kann man in den Bildern von Veronika Olma die Versatzstücke der Erinnerung zu einer Vergangenheit zusammentragen, Schritt für Schritt, Farbschicht für Farbschicht, vorausgesetzt, man will eine Vergangenheit haben. Will man dies nicht, sondern monologisierend durch die Welt flanieren, hat man keine Sehnsüchte und braucht auch keine Stege, über die man balancierend über Abgründe in eine Zukunft schreitet. Und geht einer Fähigkeit verlustig, die zu den Urgründen des Menschseins gehört: Ironie. Denn Sehnsucht ohne ironische Selbstbetrachtung gerät zum Selbstmitleid achselzuckender Fatalisten.

Ohne dieses ironische Moment, neben der kompositorischen Strenge und der thematischen Auseinandersetzung mit der Bipolarität des Menschseins, die dritte wesentliche Komponente ihres Schaffens, wären die Bilder von Veronika Olma lediglich Versatzstücke aus Vergangenem und Bestehendem. Die ironische Selbstbetrachtung und deren gestalterische Umsetzung verursacht, gemeinsam mit den Schnitten, eine zweite Brechung in ihren Bildern. Diese zweifache Brechung ist das eigentliche Agens, das den Betrachter denn auch vor dem Rückfall in ureigene dualistische Reflexe bewahrt und ihm immer wieder den Weg ins Dialogische weist.

Dieser inhaltlich und formell stark trennende und kontrastierende Bildaufbau, der in den Bildern mit zunehmender Tendenz sichtbar wird, ist deshalb gewollt. Die Zeichnung im Bild bekommt einen neuen Stellenwert, Eine sehr malerisch bearbeitete, fast monochro­me Fläche mit dick und schrundig aufgetragenen Farbschichten, steht neben glatten, farblich anders akzentuierten Bildräumen. Hier pure Malerei - dort eine feine Pinselzeichnung; hier abstrahierende Zeichen - dort zart ausgearbeitete Bildnisse; hier Mensch - dort Tier; hier Technik - dort Natur.

Zwischen dem hier und dem dort muss der Betrachter seine Stege schlagen und auf dem schmalen Grat der Sehnsucht jene Distanz überwinden, die er selbst bisher zugelassen hat.

Dr. Adrian Ciupuliga