Die hybride Selbstinszenierung der Künstler nahm bisweilen scharlataneske Formen an, etwa im Fall von Joseph Beuys, dessen Werkrelikte heute wie Reliquien verehrt werden. Diese Verquertheiten waren auch der Gier der Medien, der Kunstkritik und dem Kunstmarkt geschuldet. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kunst zu einer "Hure" des Kunstmarktes. Zu Recht spricht der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem Buch "Siegerkunst. Neuer Adel. Teure Lust" (2016) von der gelddiktierten, erfolgreichen "Siegerkunst". Gleichzeitig hat jedoch das 20. Jahrhundert die Möglichkeiten und Mittel der Kunst erheblich erweitert, und das in positivem Sinne. Zu nennen sind hier etwa als neu auftauchende Techniken und Kunstformen die Fotografie (zwar in den 1830er-Jahren erfunden, aber erst ab Anfang 20. Jh. als Kunstform anerkannt), die Collage und Assemblage, die Installation, das Happening oder der Kunst- und Videofilm. Die Aussage von Joseph Beuys "Jeder Mensch ist ein Künstler" (1985) brachte zusammen mit der Wohlstands- und Freizeitkultur einen Boom von Gelegenheits- und HobbykünstlerInnen hervor, die zusammen mit den Kapriolen der etablierten Kunst und "Siegerkunst" zu einer Marginalisierung (Produktion von reiner Dekoware) und einem zunehmenden Unverständnis in der breiten Bevölkerung - bis heute - führten. Aus dieser Rand- und Luxusecke der Gesellschaft sollte sich die Kunst befreien. Die Herausforderungen des Anthropozäns sind gewaltig - es geht dabei mehr oder weniger um das Überleben der Natur und des Menschen. Auch der kreative Bereich sollte sich dieser ernsthaften Herausforderung und Bedrohung annehmen. Wie das geschehen sollte und könnte, dazu kann dieses Manifest nur ein Anstoß sein!
Im ersten Kapitel richtet sich zunächst der Blick auf das beginnende Zeitalter des Anthropozäns. Danach erfolgt der Fokus auf die Kunst. Das theoretische Fundament bildet zunächst eine Neuorientierung des Kunstwerk- und Künstlerbegriffs. Im letzten Kapitel wird skizzenhaft versucht auf dieser Grundlage in die Geschichte der Kunst zurück zu blicken, um schließlich zu justieren, was von der Kunst des 20. Jahrhunderts, in dem das Anthropozän begann, von Bedeutung und auch nachhaltig für die KünstlerInnen und die Kunst der Gegenwart und der Zukunft sein kann.
Inhaltsverzeichnis des Manifestes:
Einleitung: Ein neues Jahrtausend - ein neues Zeitalter
I.Das Anthropozän
II. Die mögliche Rolle der Kunst im Anthropozän
2.1. Was soll ein Kunstwerk sein?
2.2. Jeder ist ein Künstler oder eine Künstlerin?
III. Eine Revision: die Kunst seit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts und ihre Entwicklung und Verwirrungen im 20. Jahrhundert
3.1. Die Irrfahrten des Wassily Kandinsky, anderer und die Folgen
3.2. Lichtblicke: Mal mehr, mal weniger – von George Grosz bis Ai Weiwei
Zusammenfassung
Nachwort