"Das Elementare in der Kunst"
Installation, Objekte, Malerei, Grafik
24.02.06 bis 26.03.06
Clemens Jöckle, Künstlerischer Leiter der Städtischen Galerie Speyer über Lis Blunier
Keine Angst vor der Avantgarde
In dem auf das 15. Jahrhundert zurückgehenden Kellergewölbe in der Städtischen Galerie im Kulturhof Flachsgasse wird die Schweizer Künstlerin Lis Blunier ein Environment unter dem Titel "Erdblüten" installieren. Die in Bern 1959 geborene Künstlerin studierte Bildhauerei an der Alanus - Kunsthochschule in Alfter bei Bonn, lebt in Berlin - Schöneberg und arbeitet im Wedding.
Bei einer Installation geht es um die künstlerische Gestaltung und Verwandlung von Räumen mit unterschiedlichen Materialien, in unserem Fall Asche, verbranntes Holz, Bitumen und Eisen. Mit Hilfe der Kombination der Ausgangsmaterialien zielt die Künstlerin unmittelbar auf die Bereitschaft des Betrachters zum Nachdenken und zur Gedankenverknüpfung. Er wird aufgefordert, in geduldigem Anschauen sich das innewohnende Selbstverständnis des Werkes zu erschließen.
Die Installation stellt somit keine Wiedergabe vorgefundener Denkmöglichkeiten durch den Künstler, also kein fertiges Resultat im Kunstwerk vor Augen, sondern erweist sich als inszenierte Raumsituation. Sie lenkt eigene subjektive Erlebnisse, Gefühle und Vorstellungen des jeweiligen Betrachters auf das als Projektionsfläche dienende Kunstwerk. Die Raumempfindung als Erlebnis setzt anschauliches Denken und Assoziationen zueinander in Beziehung.
Das Thema gibt den Charakter vor, den der bestehende Raum verändernd durch die Installation annehmen wird. "Erdblüten" bringt wie in der Blunier seit über einem Jahrzehnt beschäftigenden Werkserie zu den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft, Kunsterzeugnisse und Natursubstanzen in Beziehung. Das Eisen wird skulptural geformt und erhält eine zeichenhafte Gestalt, nämlich die eines Blütenkelches auf einem Stängel, welcher als Einzelform durch eine gitterförmige Verbindung seriell aufgereiht die vordergründige Assoziation von einem sehr ordentlichen Gartenbeet erhält.
Aber der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Blühens auf dem Wege zum Reifeprozess wird durch das Material Eisen Beständigkeit verliehen, wenn auch der Erdbezug dadurch verloren gegangen ist. Die Skulptur steht auf fragilen Stützen und ist keineswegs verwurzelt. Die in der Natur nicht vorhandene Verstrebung als technisches Element hat den Aufbau stabilisiert, nicht das "natürliche" tiefe Einsinken in die Erde. Eine Entwurzelung als Befindlichkeit wird auch der schwarze Granitfußboden des Kellers in der Städtischen Galerie verstärken.
Während der Aufbau im Atelier der Künstlerin mitten im Berliner Wedding, wie auf dem Foto ersichtlich, ausschließlich die schwebende Ort- und Haltlosigkeit der Installation demonstriert, wird sie in der Galerie zwischen drückendem Tonnengewölbe und versiegeltem Boden gleichsam eingezwängt, kann sich weder zum Himmel erstrecken, noch kann sie im Boden verankert werden.
Soll bei dem Aufbau in Speyer die Metapher eines lebensfeindlichen statt eines bereits entschwundenen Raumes wie auf dem Foto im Berliner Atelier zeichenhaft verdichtet vorgeführt werden? Diese Interpretationsmöglichkeit der Installation in Speyer wird durch die Blütensubstanz im eisernen Kelch unterstützt, nämlich ockerfarbige zum Goldfarbenen hin tendierende Asche. Sie ist für die Künstlerin Resultat des täglichen Umgangs mit einem Ostberliner Kachelofen und Verbrennungsrückstand von Braunkohlebriketts. Der Tagebau in der Lausitz führte ihr auf einer Reise die ausgetrocknete, tote Erde vor Augen.
Durch diese Installation wird der Gewölbekeller im Kulturhof zur "camera mortuaria" verwandelt, zum eindringlichen Objekt der Vergänglichkeitssymbolik, inszeniert als das Ende eines unbekannten, rätselhaften, beinahe mythologisch zu nennenden Rituals, dessen Kultgegenstände bereits in eisernen Gefäßen vom Feuer verzehrt und als kalte Substanzen zurückgelassen worden sind. "Erdblüten" eben, wenn jede in der Flamme sichtbare Transzendenz und formende oder umformende Kraft erloschen ist.
Oder ist die Installation ganz anders zu verstehen, als die wider jedes Erwarten hinter dem Sichtbaren, dem Abgestorbenen, Erloschenen befindliche von verborgenen, unterirdischen Lebensadern durchzogene Erde des Poeten, wenn Hasan Özdemir zum Thema Erde im Katalog über Lis Blunier tröstlich dichtet: "In und über der Braunen Heiligen schlägt / Das Weltherz aller Lebensquelle der sich Bewegenden, / die Ewige Mutter aller Wesen."
Besprechung von Beate Steigner-Kukatzki, Die Rheinpfalz vom 27.02.06
Wo der Himmel die Erde berührt
In der Ausstellung "Das Elementare in der Kunst " wird zwar nichts schockierend Provozierendes präsentiert, doch kann man klar sagen: So hat man das noch nicht gesehen. In der Städtischen Galerie Speyer sind mit Arbeiten von Lis Blunier, Sophie Casado, Wolfgang Fritz, Brigitte Sommer und Gerd Winter poetische Denkräume entstanden, in denen grundlegenden menschlichen Empfindungen, die unmittelbar mit den vier Elementen Wasser, Erde, Feuer und Luft verflochten sind, Raum gegeben wird.
Erfrischend mutig reduzieren Lis Blunier, Sophie Casado und Wolfgang Fritz ihre Farben. Es wird nicht zugekleistert und überfrachtet, die konzentrierten Formen stellen sich ungeschützt zur Disposition. Luftig leicht und voluminös ragen Casados Luftkissen in bedrohlicher Augenhöhe aus der Wand. Lack lässt das weiße Papier durchscheinend werden. Im Inneren lediglich konservierte Luft. Die "arbre", "Bäume", Skulpturen aus gerissenen weißen Papierstreifen sind mit der Erde verwurzelt. Die leere blasse Hülle verweist zum Himmel, lässt aber keinen Einblick in Inneres zu, da die Skulpturen überlebensgroß sind.
Unter dem Titel "Wo der Himmel die Erde berührt" stellt Lis Blunier ihre metaphernreichen Arbeiten vor. Im historischen Gewölbekeller des Kulturhofes hat sie ihre archaische Installation "Erdblüten" platziert. Die mit ockerfarbener Asche gefüllten Blütenkelche aus verbranntem Holz sind mit Bitumen bestrichen und auf filigranen Eisenstängeln befestigt. Eine zeichnerische fragile Form ist entstanden, der eine regelmäßige Gitterstruktur Halt gibt. Wüstenähnlich ist die geschlämmte und getrocknete Asche aufgerissen. In großen Wandobjekten bildet die Asche eine verletzte Oberfläche. Feuer als Symbol für freigesetzte Energie, ebenso für lebensbedrohliche Trockenheit. Nachtblau überstrich sie die ockerwarme Asche mit einem eigens gemischten Blauschwarz von einer Intensität, die keine Vergleiche kennt. Stilistisch lässt sie sich nicht einordnen.
Richtungswechsel: Bunte, fröhlich bemalte Vogelhäuschen "möbliert" sie mit Fundobjekten. Federn, Geldscheine, Trinkhalme und eine Schnur, die sich aus einem Knäuel löst und sich ins Nichts aufwickelt, sie verweisen auf Endliches und Unendliches, auf menschliches Dasein und gleichzeitig auf den Himmel, den freien Lebensraum der Vögel.
Rost und Rauch zähmt Wolfgang Fritz in disziplinierte ästhetische Formen. Er kokelt und klatscht rostende Eisenplatten auf Bildträger, es entstehen Momentaufnahmen, mit denen er eine Kontrolle über Naturphänomene ausüben will, in denen es keinen Stillstand gibt. Eher traditionell dagegen die Arbeiten von Gerd Winter und Brigitte Sommer. Winters solide Malerei bietet Farbflächen Raum für Chiffren und geometrische Akzente. Sommer fügt abstrakten Farbflächen geradezu greifbare voluminöse Formen bei. Das Boot als Urform schwankt in seiner Erkennbarkeit zwischen reiner Form, zu saftigen Melonenschnitzen oder auch deutlich gekennzeichneten venezianischen Gondeln. In ihrer Reduziertheit fügen sie sich dennoch gut in das kontemplative Gesamtkonzept.