Stadt Landau in der Pfalz / Stadtbibliothek Landau
Brigitte Sommer: "Künstlerbücher - eine Wissenschaft?"
Malerei
30.09.05 bis 21.10.05
Brigitte Sommer
Brigitte Sommer

Dr. Matthias Brück über ihre Arbeiten

Es ist schon fast selbstverständlich, dass Tagebuchnotizen zu einer Rarität geworden sind, in einer Zeit, die für Muße und Reflexion kaum noch Raum zu lassen scheint. Um so überraschender ist es wohl, wenn eine Künstlerin wie Brigitte Sommer malerisch Tag für Tag memoriert, was ihr zu einem bestimmten Thema, einem Themenkomplex gerade durch den Kopf geht. Überraschender um so mehr, wenn sie den Terminus "Zeit" in seinen Ursprüngen, seinen Kommunikationsanfängen künstlerisch zu "befragen" scheint.

So hat sie sich, quer durch die alten und neuen Kulturkreise, auf die Suche nach gemeinsamen Formen, Symbolen, Farbbedeutungen und Zeichen gemacht, Mythen und Erzählungen zu Rate gezogen. Doch nicht um ein vollständiges, kulturanthropologisches Kompendium zu erstellen, sondern um Akzente zu setzen, Verbindungslinien aufzudecken, die bis in die Gegenwart reichen können.



Einführung von Dr. Matthias Brück

"Künstlerbücher also - eine Wissenschaft?" Hoffentlich nicht! Es mag ja sein, dass es einige besonders Innovative gibt, die alle möglichen Instrumentarien des Messens, Kalkulierens, Sicherns und Verfügbar-Machens für ihr Werk zu nutzen glauben müssen. Es sei ihnen gegönnt.

Vielleicht beschäftigen sich in einigen hundert Jahren Aliens archäologisch, wissenschaftlich mit den Exponaten von Brigitte Sommer. Doch bin ich sicher, sie werden zum gleichen Ergebnis kommen: Diese Künstlerbücher sind keine Wissenschaft, ja sie entziehen sich ihr mit Erfolg.

Denn dieser Künstlerin liegt nichts ferner als sich determinieren zu lassen, als vermeintliche Resultate vorzulegen! Im Gegenteil: Blatt für Blatt spielt sie dem Betrachter Assoziationen zu, zeigt oft nur flüchtige Möglichkeiten auf - "Gedankensplitter", wie sie es nennt.

Ob großes Buch oder kleinster Almanach - diese Papiere, lose oder in Buchform gepackt, sind zumeist leise, unaufdringlich. Alles Pompöse, Monumentale hat hier keine Bedeutung. Farben und Konturen dämpfen ihren einst betont expressiven Charakter.

"Zeit der Stille" heißt ein fast spielerisch angelegtes Büchlein, lässt sich wie ein Leporello aufklappen und wirkt in seinen knappen Sentenzen, meditativ gesetzten, einzelnen Wörtern und Bildminiaturen wie ein Vademecum in hektisch-egoistischer Zeit.

Man denkt an die Worte des japanischen Teemeisters Kakuzo Okakura: "Die nicht die Kleinheit großer Dinge in sich fühlen, die werden auch die Größe kleiner Dinge in anderen übersehen".

Nicht umsonst widmet sich Brigitte Sommer seit einiger Zeit dem Zen-Gedanken, betont das Flüchtige und sieht in Vielem, was andere ideologisch kanalisiert betrachten, lediglich "Übergänge", "Passagen", wie sie es nennt.

Boots- oder Gondelfragmente betonen immer wieder ein Unterwegssein, ein Nichtstagnieren. Also fast schon ein politischer Leitfaden in unseren zementierten Zeiten!

Ob Monotypie oder Prägedruck auf handgeschöpftem Papier - immer wieder trifft der Betrachter auf Symbole und Zeichen, deren Bedeutung oftmals sich über Jahrhunderte, Jahrtausende erhalten hat. Es scheint, dass sich beim stetigen Tagebuchschreiben bzw. -malen, beim Memorieren immer wieder andere kulturgeschichtliche Ebenen ins Bild, in die Reflexion eingeklinkt haben.

Natürlich nicht als modische Accessoires, sondern als stets gegenwärtige Bestandteile unseres Bewusstseins. So wundert es auch nicht, wenn manche Seiten sich nicht als Abfolge linearer Zeit dokumentieren, vielmehr Eindrücke, Erinnerungen, Wünsche und Utopien zu einer umgreifenden Synopsis formen.

Finden und Suchen bleiben hier keine Widersprüche mehr, sie werden paradoxerweise eins wie nach zenbuddhistischer Überzeugung.

Stets leben die jeweiligen Figuren - nicht aus einer ausgestalteten Personifizierung - dagegen durch eine vitale Flächigkeit, fragmentarisch-undefiniert - und drücken häufig in ihrer Körpersprache indirekt die unterschiedlichsten Gefühlszustände aus. Ein Resultat: eine raffinierte, innere Dramatik in reduzierter, stilistisch eigener Manier.

Und doch scheint dieser "Hortus", dieser "Garten der Stille", wie ihn Brigitte Sommer benennt, immer wieder bedroht. Warum sonst stößt der Betrachter in unregelmäßigen Intervallen immer wieder auf eine Form von Wächtergestalten?

Regungslos, ehern und kantig mögen sie diesen unschätzbaren Bewusstseins-Raum, dieses Reservoir existentieller Regeneration abschirmen - vor den lockend-hinterhältigen Versprechungen einer Gesellschaft, die ihre Wertvorstellungen nach dem Aktienkurs bestimmt (Originalton von Karl Marx).

All diese Facetten, Möglichkeiten, aphoristischen Andeutungen und philosophischen Zeitlosigkeiten in ihrer kompositionellen Eigenheit und ihrer ästhetischen Überhöhung kann man kaum bei einem Vernissage-Rundgang erfassen.



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