Kunstverein Germersheim / Zeughaus Germersheim
Egon Schrick und Nicolaus Werner
Zeichnungen, Installationen
10.09.05 bis 02.10.05
Schrick_Werner
Egon Schrick: "o.T."

Egon Schrick

1935
- geboren in Krefeld/Niederrhein

1955-1960
- Architekturstudium an der Werkkunstschule Krefeld, Gestaltungslehre bei Prof.
  Gerhard Kadow

bis 1977
- Architekt in Worms/Rhein

seit 1960
- freie künstlerische Arbeiten (Zeichnungen, Radierungen)

1975-1980
- figürliche Objekte

seit 1977
- Performances

seit 1992
- zeichnerische Rauminstallationen

Ausstellungen (Auswahl)

- Worms, Mannheim, Mainz, Kaiserslautern, Amsterdam, Berlin, Krefeld, Speyer,
  Darmstadt, Tübingen, Frankfurt a.M.


Nicolaus Werner

1943
- geboren in Kirberg/Kreis Limburg-Lahn

1963
- Abitur in Wiesbaden

seit 1963
- Studium der Philosophie, Geographie, Kunstgeschichte und Kunsterziehung an
  der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

seit 1969
- Kunsterzieher in Neuwied

1978-1982
- Aufenthalt in Istanbul

seit 1984
- Verknüpfung von Art-Performance und Bewegungstheater

seit 1990
- Sommeratelier in Hünfelden-Heringen

seit 1993
- Mitglied im BBK und der Gruppe 93, Bildende Künstler Neuwied

1998
- Stipendium "Einzelgänger" bei Marie-Jo Lafontaine, Bundesakademie Wolfenbüttel

Ausstellungen (Auswahl)

- Basel, Darmstadt, Dortmund, Faenza, Gießen, Istanbul, Köln, Mußbach,
  Neuwied, Pirmasens, Prüm, Bad Irsee, Mainz, Trier


Einführung von Dr. Matthias Brück

Längst ist der Traum von der einen, objektiv verfügbaren Welt ausgeträumt. Philosophie, Wissenschaft und Kunst verfügen über ein fast unübersehbares Potential von Theorien, Erkenntnissen wie Interpretationsmöglichkeiten. Und doch scheint der viel gelobte Homo sapiens häufig immer noch so zu leben und zu handeln, als wäre die Erde eine Scheibe.

Ich meine jetzt nicht die anstehenden Wahlen, vielmehr das eindimensionale, dogmatische Denken, unter dem viele, viel zu viele Entscheidungen zu leiden haben. Dabei existieren genug sinnvolle Alternativen, genug erhellende Weltsichten. Zwei - auf den ersten Blick - extreme Anschauungen werden Ihnen heute Abend von Egon Schrick und Nicolaus Werner eindrucksvoll vorgestellt.

Es scheint, als wären die Welten von Egon Schrick von einem düsteren, unauflösbaren Grau überzogen. Die wüsten, fast entleerten Flächen wirken, als wären sie Relikte eines FlächenBombardements - ausgebrannt, verödet. Vielfach ragen noch Pfosten, Pfähle aus der versteppten Erde, mögen an Reste von Stacheldrahtverhauen erinnern - ob Erster Weltkrieg oder anderswo - zeitlos zerstörerisch.

Bisweilen scheinen sich die Landschaften - oder das, was von ihnen übrig geblieben ist - wie unter einer letzten Druckwelle zu ducken. Ungeheure destruktive Kräfte sind, waren hier am Werk, die dieser Künstler bisweilen geradezu dämonisch entfesselt zu haben scheint.

Inmitten dieser Turbulenzen tauchen immer wieder einzelne Menschen oder Menschenströme auf. Sie sind regelrecht in die dramatisch-vehemente Situation eingewoben, wie man es teilweise aus den früheren Ruanda- und Bosnienbildern kennt.

Mit einer eher sparsamen, expressionistisch gesetzten Strichigkeit und Linienführung zielt Egon Schrick weniger auf eine individuelle Charakterisierung menschlichen Ausgeliefert-Seins, sondern umgreift pointiert eine prinzipielle Geworfenheit menschlicher Existenz.

Mit einer faszinierenden Abgründigkeit bewegen sich diese gespenstigen Gestalten oft wie in einer Zwischenwelt. Sind es Tote, die geisterhaft die noch Lebenden mahnen wollen oder ist hier bereits das nächste Chaos, die nächste verheerende Katastrophe vorweggenommen? Der bizarr-kaligrafische Aufschrei "Terror" trägt sicherlich nicht zu übersteigerten Hoffnungen bei!

Direkt-indirekt stehen hinter diesen Kompositionen die Antithesen von Chaos und Ordnung, von Macht und Ohnmacht, von Gewalt und Gewalterleiden. Nur einmal in dieser zumeist schwarz-grauen Düsternis, wenn der Blick wie von weither über ein Bergmassiv gleitet, scheint etwas Gelassenheit und Zuversicht diese erschütternd-kritischen Exponate zu erhellen.

Mit Nicolaus Werner betreten Sie eine gänzlich anders geartete Welt. Alles scheint auf den ersten Blick geordnet, zählbar und nachprüfbar geregelt. Gewissermaßen als Zeuge für diese philosophische natur-philosophische Deutung steht für diesen Künstler Pythagoras der Schrecken mancher Pennälerzeiten. Doch der war mehr als nur Mathematiker - er war Astronom und Philosoph zugleich.

So verstand er die Prinzipien des Mathematischen zugleich als Prinzipien des Seienden, die Zahlenverhältnisse als Abbilder der der Harmonie der Welt selbst. Nun übersetzt Nicolaus Werner diese Theorie nicht dogmatisch in seine Werkgruppe.

Im Gegenteil: Er versteht es mit geradezu spielerischer Leichtigkeit, den Satz von der Berechenbarkeit rechtwinkeliger Dreiecke in mannigfaltiger Weise aufzuzeigen, Dreieck für Dreieck zu den variantenreichsten Möglichkeiten fortzuschreiten.

Was Wunder, dass bei diesen Exponaten der Zollstock eine dominierende Rolle spielt. Doch dieser Garant des Messbaren verliert immer mehr seine ursprüngliche Bedeutung, wenn er zu Formen und Gebilden "entfremdet" wird, die den denkbaren Assoziationsmöglichkeiten keine Schranken zu setzen scheinen.

Diese Gestelle geben außerdem ihre berechnete Festigkeit oftmals auf, werden regelrecht umgedreht, befiedert, um ein konstruktives Spiel zwischen Stabilität und Instabilität zu inszenieren. Doch die ungewöhnlichste Hommage an Pythagoras dürften sicherlich die drei Wandplastiken dokumentieren: drei Frösche nach den pythagoreischen Gardemaßen.

Vergänglichkeit versus Unvergänglichkeit, dieses Thema dürften die beiden Tonkreise "Gegen die Zeit, mit der Zeit, in der Zeit" symbolisieren. Zurückgreifend auf die Offenbarung des Johannes, nach der 144 Fuß als Engelsmaß der Himmelsstadt beschrieben wird, sind die beiden Installationen einmal mit normalen Salzstangen, dann mit Salzstangen aus Bronze bestückt. Erstere knicken nach einiger Zeit durch die Feuchtigkeit des Materials ab, die Bronzesalzstangen überdauern.

Mit streng reduzierten Mitteln tangiert Nicolaus Werner ein Grundthema menschlicher Existenz: das Suchen nach Bestand und Ewigkeit wie das Scheitern im irdischen Dasein.

Daran schließt sich konsequent der installierte "Rheinteppich" mit seinen geordneten Strömungen aus Scherben von irdenen Gefäßen und Gläsern an. Ein Werden und Vergehen, ein zivilisatorischer Kreislauf, in dem auf gewisse Weise nichts verloren zu gehen scheint. Man kann es hier nur andeuten.

In unserer immer mehr event- und oberflächlich-ästhetisch geprägten Kunstszene ist es ein seltener Gewinn, sich mit so tiefgründigen und existentiell bedeutsamen Werken auseinandersetzen zu können. Herzlichen Glückwunsch an Egon Schrick, Nicolaus Werner und den Germersheimer Kunstverein!



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