Erika Streit: "Bilder eines Lebens"
Malerei, Grafik
20.10.06 bis 03.12.06
Erika Streit, geboren 1910 als Tochter eines Schweizer Chemikers, studierte bei Otto Dix in Dresden und bildete sich, nach dessen Entlassung aus dem Lehramt 1933, in Paris fort.
Ihre Erfahrungen von Flucht und Krieg führte sie zum zentralen Thema der Heimatlosigkeit. Dem Spiegel- und Maskenmotiv kommt eine zentrale Bedeutung zu, weil sie das humanistische Menschenbild in Verbindung malerischer und grafischer Elemente als Weg zur Selbsterkenntnis begriffen hat.
Die Ausstellung wurde von der Erika-Streit-Stiftung in Verbindung mit der Städtischen Wessenberg-Galerie Konstanz zusammengestellt.
Einführungsrede von Doris Blübaum M.A.
Ich freue mich sehr, heute Abend in die Retrospektive von Erika Streit "Bilder eines Lebens" einführen zu dürfen, deren erste konzeptionelle Überlegungen etwa zwei Jahre zurückliegen. Eine lange Zeit, werden Sie wahrscheinlich denken, doch Museen sind riesige Zeitmaschinen, die in die Gegenwart und natürlich Zukunft hineintragen, was in der Vergangenheit entstand. Diese virtuelle Reise mit der Zeitmaschine "Museum" bedeutet auch, dass man präzise und punktgenau mittels Zeitbeschleunigung reisen kann. Ein solches Unternehmen bedarf natürlich einer guten Vorbereitung, vieler Helfer und manchmal guter Nerven. Vom schnöden Mammon möchte ich an dieser Stelle gar nicht reden. Für das Werk von Erika Streit freut es mich ganz besonders, dass nach Konstanz und Hemmenhofen, nun die Ausstellung hier in Speyer Station machen kann. Viele der Werke von Erika Streit machten sich daher am Bodensee, am Zürichsee und andernorts durchaus real auf die Reise, um hier und jetzt in dieser Ausstellung für Sie da zu sein. Es wird in meiner Rede noch des öfteren von Reisen die Rede sein.
Der Untertitel des Kataloges zur Ausstellung "Ein Malerleben zwischen Dresden, Prag, Paris und Zürich" zeugt von einem spannenden, ereignisreichen und europäischen Künstlerleben und natürlich auch von diversen Ortswechseln. Dieser Titel beleuchtet jedoch nur eine Seite der Künstlerschaft von Erika Streit, denn neben der Malerei zeugen auch die Zeichnung, die Grafik und sogar die Keramik vom umfangreichen Schaffen der Künstlerin.
"Liebes Fräulein Streit", schreibt Otto Dix Ende des Jahres 1933 von Schloss Randegg, "Ich komme voraussichtlich nach Neujahr 1934 und für längere Zeit nach Dresden. Wenn Sie es einrichten könnten, daß Sie dann nach Dresden kämen um weiter bei mir zu lernen, wäre es sehr schön. Ich schreibe Ihnen noch die genaue Zeit meiner Ankunft dort. Mit besten Grüßen Ihr Dix." Wie wir aus der Biografie von Erika Streit wissen, folgte sie diesem Wunsch und arbeitete ab Februar 1934 bei Dix als Privat-Schülerin weiter oder er besuchte sie in ihrem eigenen Atelier. Der Anfang ihrer Künstlerlaufbahn in Dresden lag allerdings schon sieben Jahre früher, 1927, mit dem Studium an der Kunstgewerbeschule, wo Dix knapp zwanzig Jahre zuvor ebenfalls seine Ausbildung begonnen hatte, von 1910 bis 1914. Als Dix dann 1927 als Professor an der Akademie in seine Stadt zurückkam, begann die junge Erika Streit an eben jener Dresdener Kunstgewerbeschule ihr Studium. Ab 1929, mit der Aufnahme an der Dresdener Akademie, durchlief sie verschiedene Klassen des klassischen Akademie-Studiums, insbesondere des Zeichnens und darauf folgte, 1931 bis 1933, das Studium der Malerei in der Klasse von Dix.
Es war eine wirtschaftlich und politisch schwierige Zeit, die gerade an den jungen Kunststudenten und ihrem Professor nicht spurlos vorüber ging. Die Klasse von Dix galt als politisch sehr aktive Klasse, doch anders als ein Teil ihrer Kommilitonen ist eine politische Ausrichtung des Werkes bei Erika Streit nicht feststellbar, wenngleich sie durch Themen wie das Porträt oder die im weitesten Sinne genrehaften Motive mit ihrem Lehrer und ihren Schülerkollegen verbunden schien. Ihre Porträts von dem Kohlenhändler Maxe Bartel, einem häufig dargestelltem Modell, sind nicht zu vergleichen mit den Porträts von Hamisch, Dodel oder mit der Art wie ihn Querner dargestellt hatten. Streits Idee von Malerei und auch ihre Ausführung war von Otto Dix beeinflusst und lässt sich unter dem umfassenden Begriff der realistischen, altmeisterlichen Malerei subsumieren, mit der man auch Dix' Arbeiten ab Mitte der 20er Jahre klassifizierte. Dass Erika Streit jedoch auch ihre eigenen Vorstellungen hatte, zeigt unter anderem der "weibliche Akt" aus dem Jahr 1932, heute im Bestand des Dix-Hauses. Dieser Akt geht auf das gleiche Modell zurück wie die Darstellung der "Vanitas" aus dem gleichen Jahr von Otto Dix, das sich heute im Zeppelin Museum in Friedrichshafen befindet. Über die Gemeinsamkeiten der beiden Bilder und die doch sehr eigenen kompositionellen und inhaltlichen Ausprägungen schreibt Dieter Hoffmann in seinem Katalogbeitrag. Der bei Dix ziemlich drastisch und recht barock-drall formulierte Topos der Vergänglichkeit wird bei Streit zu einer jungen Frau, die geradezu schüchtern wirkt und der wenig Eitles und Vergängliches anhaftet. Bei Streit ist das Modell nicht das Mittel zum Zweck, sondern sie sieht in der eher porträthaften denn symbolhaften Darstellung eine junge Frau der frühen 30er Jahre.
Es zeigt sich schon in der Dresdner Zeit von Erika Streit, dass sich die Darstellung des Menschen und dabei insbesondere die der Frau oder nennen wir es besser die des weiblichen Wesens, wie ein roter Faden durch ihr Werk zieht. Sie werden in der Ausstellung immer wieder auf Frauen treffen, die Ihnen auf eine sehr eigene Art entgegentreten. Natürlich gilt dies in einer besonderen Weise auch für die Selbstporträts von Erika Streit. Eines ist Ihnen ja schon auf dem Ausstellungsplakat begegnet: das "Selbstbildnis mit Kugelvase" von 1933. Auch darauf zeigt sie sich dem Betrachter streng und eher verschlossen. Das Bildnis zeugt durchaus auch von einem gewissen Selbstbewusstsein, wie auch von Melancholie und Nachdenklichkeit. Hier auf diesem Bild wendet sie sich mit traurigem Blick ab, verschließt sich vor der Vergangenheit der böhmischen Heimat mit der Fabrik im Hintergrund. Sie zieht den Vorhang hinter sich, verstellt den Blick des Betrachters mit der Kugelvase. Sich selbst zieht sie, ganz ähnlich den Dix'schen Malkitteln, einen sauberen Kittel an und steckt sich, fast einem Arzt gleich, den Pinsel in die Brusttasche.
Die Dix'sche Schule in Dresden war eine lehrreiche Zeit für Erika Streit und so arbeitete sie nach der Entlassung von Dix im Jahr 1933 bei ihm weiter, ich sprach ja schon eingangs davon, doch war Dix nicht mehr ständig in Dresden und das private Studium endete wohl Mitte 1934. Danach gab sie auch das eigene Atelier wieder auf. Die folgende Zeit erscheint sehr ruhelos, wohl ernüchtert von den äußeren Umständen.
Es lässt sich in dieser Zeitspanne ein künstlerischer Ablösungsprozess feststellen, der auch, verstärkt durch die zunehmend sich verschärfende politische Lage zu häufigen räumlichen Veränderungen führte. Mit der Aussicht auf die finanzielle Unterstützung durch die Eltern, lockte die große Kunstwelt. Erika Streit besuchte Paris, sie bekommt einen Auftrag in Berlin und dazwischen ist sie wieder in Dresden. Von 1936 bis 1938 pendelte Erika Streit zwischen Paris und dem Elternhaus in Böhmen. Der Kontakt zur Dresdener Akademie und den dortigen Künstlerkollegen riss jedoch nicht völlig ab. So spricht Johannes Schmid in seinem Aufsatz über die Jahre 1939 bis 1942 von einem langen Abschied von Dresden. Erika Streit ist im September 1941 die wohl letzte ausländische Studentin an der Akademie, denn die sich immer mehr verschärfenden Ausländergesetze machen das Leben immer schwerer. Sie schließt ihr Studium ab und in ihrem Tagebuch schreibt sie: "was habe ich in Dresden, wo alles fort ist." Auch Dix traf sie im April 1941 das letzte Mal in Dresden. 1943 verlässt die Familie Streit endgültig Deutschland und geht in die Schweiz.
Dieser Umzug stellt eine große und radikale Zäsur für Erika Streit dar und prägt ihr Schaffen ab dieser Zeit. Es ist Krieg und dieser zeigt auf der ganzen Welt sein grausames Gesicht. Das Vermögen der Familie wurde bei der Ausreise beschlagnahmt und mit keramischen Arbeiten trägt Erika Streit zum Lebensunterhalt der Familie bei. Erika Streit begann neue Kontakte zu knüpfen, nachdem die alten Freunde im deutschen Osten kaum mehr erreichbar waren.
Auch künstlerisch betrachtet findet ihr Frühwerk mit dem Umzug in die Schweiz seinen Abschluss und ihre Malweise wie auch ihre Motive verändern sich vollständig. Hat sie sich schon bei ihren Reisen nach Paris mit Pablo Picasso beschäftigt, so wird sein Werk ab 1943 für sie eine Art neue künstlerische Heimat. Immer wieder reflektiert sie in ihrem Schaffen das Werk von Picasso und entwickelt so ihre eigene Bildsprache, die weiterhin gegenständlich bleibt. Neben manchen Motiven findet sich aber auch eine formale Nähe von Erika Streits Arbeiten zu Pablo Picasso, dessen Kubismus ihr neue Möglichkeiten eröffnet, ihre Ideen umzusetzen. Ein zentrales Motiv ist nach wie vor der Mensch und dabei rückt immer mehr die Frau in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.
Figuren am Ufer, Frauen am Fenster, Frauen mit Licht, Heimatlose, Ariadne um nur einige zu nennen, sind Wesen, die von einer gewissen Traurigkeit, Melancholie, Heimatlosigkeit und Einsamkeit zeugen. Es ist nicht mehr das genaue und klare Beobachten des Menschen, das das Schaffen in der Zeit vor 1943 prägte, sondern nun werden die Bildfiguren zu Trägern von Stimmungen. Es erscheint wie ein Rückzug aus der realen Welt, denn nun entstehen eigene Bildräume, die fast archaisch anmuten. Gerade die Antikenrezeption ist dabei ein ebenso wichtiges Stichwort wie auch Erika Streit beschreibt, dass Träume für sie eine wichtige Inspirationsquelle sind.
Immer wieder, besonders deutlich wird dies in den grafischen Serien, die ab Ende der 50er Jahre bis in die 70er Jahre entstehen, nimmt Erika Streit bestimmte Bildelemente auf, die geradezu rätselhaft wirken. Dazu gehört das Licht in Form einer Öllampe oder Kerze und sein Pendant der Schatten oder das Motiv eines Kindes, das mit Blumenstrauß und prächtigem Hut auch als Selbstbildnis dargestellt wird.
Licht und Schatten erscheinen als Motive für einen symbolischen Übergang vom Hellen ins Dunkle oder umgekehrt, genauso verhält es sich mit den Bildräumen, weite Meeresufer stehen dunklen Räumen gegenüber, die nicht immer Fenster oder Türen haben. Die Figuren in den Räumen scheinen still zu warten oder in ihrer Bewegung zu verharren. Das Halten eines Spiegels mancher Bildfiguren zeugt dabei von der Konzentration und Reflektion auf sich selbst. Erika Streit bezieht sich dabei sicherlich genauso auf ihre eigene Person, wie sie auch den Betrachter zu dieser Selbstbespiegelung und Betrachtung der eigenen Stellung in seinem Umfeld auffordert.
Mit den späten Werken in den 80er und 90er Jahren scheint sich ihr Werk dahingehend zu klären, dass sie ihre Bildkompositionen konzentriert. In der Grafik erscheinen z.B. kleine nur auf die Silhouette reduzierte Gesichter oder der Abdruck der eigenen Hand als ein geradezu radikal reduziertes Selbstbildnis. Auch die "Sitzende vor Felsblock" von 1986 wirkt im Vergleich zu früheren Arbeiten fast minimalistisch. Es scheint, dass die Bildelemente auf das Wesentliche reduziert werden, aber immer noch die gleichen Bildideen wiedergeben: der Mensch in seiner Einsamkeit und in einer unendlichen Landschaft. Sie bezeichnet diesen Felsblock als Dürer-Stein und bezieht sich auf den berühmten Kupferstich Albrecht Dürers von 1514 "Melancolia". Der Dürersche Polyeder drängt sich in Erika Streits Werk wie ein gigantischer Felsbrocken in diese einsame und unendliche Landschaft, in der die Frau völlig alleine ist. Diese scheinbare absolute Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit wird jedoch aufgehoben durch den Blick der Frau nach oben. Erika Streit erzählt, dass sich trotz Verlust oder Trennung immer wieder eine neue Tür geöffnet hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Erika Streits Schaffen ein sehr umfangreiches und vielschichtiges ist. Es scheint zum einen durchaus unter dem Einfluss von Künstlern wie Dix, Picasso oder Giacometti zu stehen, zum anderen ist es als Spiegel der eigenen Biografie zu verstehen. Eduard Beaucamp schrieb 1994 über Picasso, dessen 125. Geburtstag in ein paar Tagen am 25. Oktober (1881-1973) ansteht: "Ihre Wahrheit (damit meint er insbesondere die Zeichnungen) steckt in einer wechselnden, sprunghaften, assoziativen, dabei Subjektivität und Objektivität unauflösbar mischenden Natur. Auge, Imagination und Unterbewusstsein wirken zusammen." Mit diesen Worten hätte er auch die Werke Erika Streits umschreiben können.