Damaris Odenbach: "Modell 23", 2007, C.Print, Diasec, 30 x 40 cm, Auflage 3 (+2 AP), courtesy Heinz-Martin Weigand Gallery, Berlin
Vernissage am 20.01.13 um 11.00 Uhr Mit einer Tanzperformance von Ziv Frenkel, Tel Aviv
Mutter, Vater, Kind. Mit etwas Ruhe und lauter Stimme ausgesprochen, stellen sich unwillkürlich Erinnerungen ein. Kann man diese drei Worte denken, ohne involviert zu sein, ohne, dass sich ein 'mein' dazwischen schiebt? Gabriele Lutterbeck und Damaris Odenbach berühren in ihrem für Landau entwickelten Ausstellungsprojekt RADIX auf kritische wie spielerische Weise verschiedene Aspekte der Familie. In einem Dialog unterschiedlicher Medien - von einer Videoinstallation über Aquarelle nach Familienfotos bis zu spurenreichen Objekten - befragen die Werke die vielschichtigen Ebenen des kulturell, politisch doch stets auch persönlich geprägten Themas. Dabei knüpft die Präsentation der in Köln und Berlin vertretenen Künstlerinnen an die besondere Historie des Frank-Loebschen Hauses an.
Die Künstlerin Damaris Odenbach, in Bad Bergzabern geboren und aufgewachsen, baut seit vielen Jahren Modelle verlassener Innenräume, die dem Verfall preisgegeben scheinen. Ihre befremdenden Settings erzeugen filmische Assoziationen und entstehen einzig, um sie in atmosphärischen Fotografien abzulichten. Im Frank-Loebschen Haus sind die Modelle ausnahmsweise zu sehen, jedoch lediglich über den Splitscreen einer Überwachungskamera. Dem technisch vermittelten Einblick haftet etwas Gewaltsames an und er macht die schwierige Verwandtschaft zwischen Kontroll-, Schutz- und Freiheitsbedürfnis spürbar. Neben privat codierten Papierarbeiten und narrativen Objekten wird das Elektrokardiogramm "Brief an den Vater" gezeigt, dessen vielsagender Titel der berühmten Geschichte Franz Kafkas entlehnt ist. Im EKG-Bild transformiert sich die Erzählung des Vater-Sohn-Konflikts in eine existenzielle Form, in die abstrakte und zutiefst körperliche Aufzeichnung der sogenannten Herzschrift.
Während Damaris Odenbach sich auf rätselhafte, zuweilen persönliche Weise dem Thema nähert, zielt die Malerin Gabriele Lutterbeck in ihrer Werkgruppe "We are family" auf öffentlich inszenierte Idyllen: Die Kennedys, Helmut und Hannelore Kohl oder die Winehouse Family - allein in den Namen schwingen strahlendes Glück und tragische Abgründe mit. Solch 'legendäre Familien' liefern den Stoff für die medial aufbereiteten Dramen unserer Zeit und aktualisieren immer wieder aufs Neue Jahrtausende alte Mythen; denn was wären beispielsweise die griechischen Göttersagen anderes als phantastische Familiengeschichten? Gabriele Lutterbecks Arbeiten entstanden überwiegend nach fotografischen Vorlagen, welche die Künstlerin in durchscheinende Aquarelle wandelt. In einer meisterhaften, an Luc Tuymans oder Gerhard Richter erinnernden Bildsprache stellt sie das Modell Familie auf den Prüfstand. Der kritische, von intensiven Recherchen begleitete Fokus motivierte auch ihre neueste Serie, die sich fragend mit einer der schwierigsten Erbschaften des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt. Die Blaupausen simpler Zahlenkombinationen gehen auf die Tätowierungen von KZ-Häftlingen zurück. Sie sind Code nur schwer vorstellbarer, individueller Schicksale und Ausdruck der Unmenschlichkeit eines durchrationalisierten Systems. Verblüffenderweise sind die von Lutterbeck recherchierten Tattoos neueren Datums: Kinder und Enkel der in Konzentrationslagern Inhaftierten 'übernahmen' die Nummer von ihren Vorfahren und ließen sie sich gegen das Vergessen stechen.
Ab dem 20.01.13 fragt die Ausstellung RADIX - lateinisch für Wurzel - im Frank-Loebschen Haus nach den identitätsstiftenden wie -belastenden Seiten des Konstrukts Familie. In kunstübergreifenden Veranstaltungen und den eindringlichen Arbeiten von Gabriele Lutterbeck und Damaris Odenbach werden abstrakte und intime Dimensionen des Themas für die Besucher erfahrbar - auch und gerade weil die Künstlerinnen dabei das eigene Verwurzeltsein nicht vergessen.