Stadt Landau in der Pfalz / Frank-Loebsches Haus
Gunther Stilling: "Der Mensch in Stadt - Raum - Zeit"
Skulptur
05.09.08 bis 20.10.08
Gunther Stilling
Gunther Stilling

Eine überdimensionierte Hand an der Stiftskirche, riesige Köpfe am Rathaus. Ein Rundgang mit den Bronzekulpturen des in Güglingen und Pietrasanta lebenden Kunstprofessors Gunther Stilling reicht von der Roten Kaserne über den Rathausplatz zum Stiftsplatz und von dort über die Stiftspassage bis zur Bachgasse.

Die Köpfe, Hände und Torsi aus Bronze und Aluminium erinnern an die klassische Formensprache und weisen dennoch scharfe Einschnitte und Risse auf, die den Blick auf das Innere freigeben. So wird an den dreidimensionalen Skulpturen gleichsam eine vierte Dimension, tiefere Schichten, sichtbar und somit alles, was dem Menschen zu eigen ist: Angst, Anstrengung, Aggression, Verletzlichkeit.

Die Ausstellung, eine Kooperation der Kulturabteilung der Stadt Landau mit der Galerie "Z" im Frank-Loebschen Haus, kam auf Vermittlung des Essinger Architekten Jürgen Pils, einem engen Freund Gunther Stillings zu Stande. Ein gemeinsamer Rundgang mit Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer ließ die Idee reifen, Kunst mitten in der Stadt auszustellen. Frei zugänglich für jeden, der sich darauf einlassen möchte.

Das Projekt konnte nur mit Hilfe zahlreicher Sponsoren realisiert werden, allen voran die Sparkasse Südliche Weinstraße, die Speeter Elementefertigteile GmbH in Bornheim, die Firma Klotz Antik Landau und das Weingut Theobald Pfaffmann in Nußdorf.

In der Galerie "Z" werden bis zum 12.10.08 zusätzlich Kleinplastiken von Gunther Stilling präsentiert.

Eine Broschüre zur Ausstellung liegt im Frank-Loebschen Haus und im Rathaus aus.


Einführung von Clemens Jöckle

Das Obergeschoss des Frank-Loebschen-Hauses hat Günther Stilling mit seinen Bronzeplastiken in einen Zaubergarten der Medusa verwandelt, freilich im durchaus dem Manierismus verpflichteten Sinn, dass der Blick der Skulpturen und auch der des Betrachters sich nach Innen wendet, nicht nach außen. Er blickt in einen Bereich, wohin ihm primär auf dem Wege seiner tausendfältigen Sensationen niemand zu folgen vermag, aber dennoch die wesentlichen Anliegen inhaltlicher Art sich sofort und direkt mitteilen. Das Aufbegehren und das Provozieren durch diese Plastiken mit ihrer Thematik gehört ebenso zur beabsichtigten Aussage wie das Überwältigtsein von einer bestimmten Epoche, der Antike, die als Ausgangspunkt genommen wird, wie das Getriebensein als Obsession und das "In-Bann-Geschlagen"-Sein von eben dieser Epoche. Hier wird nicht mit einem irgendwie gearteten Zeitstil gearbeitet, sondern mit tradierten Werten, wenn eine in der Renaissance aufgekommene Erscheinungsform auf der Grundlage der Sehweise unserer neuzeitlichen Kultur und unseren gegenwärtigen Betrachtungsvorstellungen Wesen und Erscheinungen der sichtbaren Welt demaskieren können.

Günther Stilling bricht die glatten Oberflächen der Gesichter und seiner Torsi, aber auch der menschlichen Körper auf, schafft dadurch Einschnitte und gewährt Einblicke. Sie machen die Verwundung bei diesem plastischen Vorgehen deutlich, das Seziermesser der Intellektualität zeigt das Menschenbild sowohl als mit Panzerungen versehen, durch die der Künstler durchdringt als auch mit einer aufquellenden, handsam modellierten Verwundbarkeit, die die Einschnitte oft zu schmerzhaften Dornen werden lässt. Ein Beispiel, wie Günther Stilling seine Aussagen in dieses Menschenantlitz einbringt, gibt der kleinformatige Kopf des Leonidas von Sparta, den der Künstler nicht als heldenhafte Durchhalteparole für heutiger Feldherrn begreift, sondern als Kriegsmaschine, die ohne menschliche Regung unbeeindruckt ihr ins eigene Verderben führendes technologisches Zerstörungswerk vollbringt. Sparta ist heute und das Gesetz, das befiehlt, dass man sich bis zum Tode aufopfern soll, verbrämt in der Sentenz des Horaz "dulce et decorum est, pro patria mori = es ist süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben" angesichts zweier Weltkriege und heutiger bewaffneter Konflikte obsolet. Er zeigt Leonidas mit einer Trense im Maul und der journalistische Satz über einen Feldherrn des Zweiten Weltkrieges: "Er ist wie ein Pferd, das dafür berüchtigt ist, die Trense ins Maul zu nehmen, draufzubeißen und dann durchzugehen", hat in dieser Figur ihre Aussage gefunden.

Engagierte Kunst, die Antike könnte Lehrmeisterin sein, wäre sie nicht so grundlegend gerade in ihren Renaissancen missverstanden worden. Bei Schilling trägt Agamemnon einen Fliegerhelm, dort schreit ein römischer gepanzerter Centurio in Parallelität von Maul und Kanone seine Schlagworte im wörtlichen und metaphorischen Sinn heraus. Als Quintessenz entsteht die Metamorphose einer Maschine zum Menschenbild in grotesker Übersteigerung der Maschinentheorie des Philosophen Hans Driesch, der den Vitalismus als prospektiv auf das Resultat der Entwicklung hin werden lässt. Das Resultat der Ganzheit bestimmt von Anfang an die Teile, so dass Teile vom Ganzen her Sinn erhalten, eben in unserem Beispiel der Zerstörungstrieb, der sich zum unmenschlichen Antlitz formt. Tatsächlich steht bei Stilling immer der Teil für das Ganze und die Aussage bestimmt sich von der Ganzheit her und wird stellvertretend in den Teilen ausgedrückt.

Auch die Festlegung der aus der Antike überlieferten Gestalten wird aufgegeben und bei den einzelnen Figuren neu interpretiert. Dies geschieht mit einer Vielzahl von Stilmitteln, etwa der Überbetonung einzelner Körperteile, der Agglomeration von Gegenständen aus anderen Zusammenhängen in die Plastik oder eben das Weglassen durch Reduktion. Auch die Oberflächen werden unterschiedlich behandelt. Die Panzerung erscheint dabei oft unter der aufgeplatzten Epidermis der Hautschicht, die Wappnung lässt also ein Vordringen der Eindrücke auf das Handeln der Figur niemals hautnah zu. Dennoch durchdringt Stilling auch die Rüstung, dann aber zerstörerisch oder er legt zwiebelartig wie bei der Melancholie die tieferen Bewusstseinsschichten offen, was dann auch durch die geschlossenen Augen verdeutlicht wird, weil die Blickrichtung nach innen führt. Aber auch Spuren und Zeichen als Protokolle einer Lebenseinstellung, werden eingesetzt, um geschichtsschöpferisch gestaltend blinden Aktivismus anzudeuten.

Ein weiterer Faktor sind die radikalen Schnitte in den Figuren, die den Prozess des Zeitlichen andeuten zwischen Formung und Auslöschung, zum Beispiel bei der literarischen Gestalt der Ophelia, die in Shakespeares Hamlet sich selbst zerstört hat, weil sie am Leben und an der Liebe verzweifelt ist. Zwischen der Flucht aus der Realität und dem aufzeigen der Schrecken der Realität spannt sich die inhaltliche Aussage dieser Werke. Ganz beeindruckend aber ist die Verknappung der Aussage in den Gebärden der Hände, die weit über das bloße gestische hinausweisen. Hier wird pars pro toto die bildnerische Aussage kühn, denn Stilling greift den Gekreuzigten vom Isenheimer Altar des Meister Mathis auf und stellt die von oben her an Kreuz genagelten Hände in ihrer Kontraktion plastisch dar und lässt den deutenden Finger Johannes des Täufers wie zur Steigerung der Bildaussage einen entsprechenden Hinweis geben. Man merkt dabei gar nicht, dass zur Übersteigerung der Gebärde die eine Hand sechs und die andere sieben Finger besitzt, so ist man von der beredten Sprache des Kunstwerks eingenommen.

Stillings Skulpturen werden in dieser Ausstellung eingefangen von begleitender Grafik bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts, die ihrerseits seismografisch erfasst haben, was beseelte expressive Aussage wie bei Heckel, Pechstein oder Schmidt-Rottluff will, was sinnliche Erfahrung bedeutet wie bei Corinth oder was gesellschaftskritisch als Stellungnahme eingesetzt worden ist wie bei Otto Dix oder George Grosz. So wird den Plastiken ein zeitgenössischer Kontext hinzugefügt, die den Spannungsbogen des Überzeitlichen mit der Übersetzung in das Heute die Bildaussage unterstreichen hilft.

Besprechnung von Gabriele Weingartner, die Rheinpfalz vom 08.09.08

Gepanzerte Verletzlichkeit
Skulpturen von Gunther Stilling und Grafiken der Klassischen Moderne im Frank-Loebschen Haus und in der Innenstadt

13 Skulpturen des Bildhauers Gunther Stilling sind gemeinsam mit Grafiken diverser Künstler in den nächsten Wochen im Frank-Loebschen Haus und in der Innenstadt zu sehen.

Kunst im Öffentlichen Raum, so sagte Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer in seinem Grußwort bei der Eröffnung der Ausstellung mit Skulpturen von Gunther Stilling und Grafiken der Klassischen Moderne im Landauer Frank-Loebschen Haus, sei nicht zuletzt ein Angebot an die Bevölkerung, die Begegnung mit Kunstwerken zu wagen, die sich sonst in geschlossenen Räumen befinden. In der Tat bieten die 13 Figuren des international renommierten Bildhauers Gunther Stilling, die in den nächsten Wochen durch die Initiative der Galerie Z sowie des Städtischen Kulturamts an vielen Stellen in der Innenstadt zu beschauen und zu umrunden sind, eine gute Gelegenheit, guter Kunst hautnah zu begegnen.

Was nicht heißt, dass manche Bewohner und Besucher Landaus Stillings Arbeiten nicht auch schon in anderen südwestdeutschen Städten entdecken konnten. Vor allem seine überdimensionale Skulptur vor dem Kaiserslauterer Pfalztheater hat dafür gesorgt, dass man in der hiesigen Region seine "Handschrift" unfehlbar erkennt. Die Phalanx der bewaffneten und zerstörten zehn Hände vor der Stiftskirche, die beiden Masken-Köpfe vorm Rathaus, der "African King" vor der roten Kaserne, die "Melancholie" in der Bachgasse: Sie alle teilen auf relativ kleinem Raum die Formensprache dieses perfektionswütigen Künstlers direkt mit.

Bei der Vernissage bekannte der Künstler freilich sehr offen, dass die Bilderhauerei letztlich nur im Team zu bewältigen sei, das heißt, nur mit Menschen, die sich uneingeschränkt in den Dienst eines einzelnen Kunstwerks stellen wollen.

Bei der Verteilung der Bronze- oder Aluminium-Skulpturen auf den Plätzen und in den Straßen war dies zweifellos der Fall und zudem gewiss mit dem Einsatz von Körperkraft verbunden. Wünschenswert wäre freilich, dass die "neuen Mitbewohner" dafür sorgen, dass der eine oder andere Passant auch den Weg in die Ausstellung im Inneren des Frank-Loebschen Hauses findet, denn dort kann man nicht nur vielen der Stilling'schen Arbeiten in sozusagen menschlichen Maßen begegnen, sondern trifft auch auf eine bemerkenswerte Ausstellung mit Originalgrafiken der Klassischen Moderne, das heißt, hauptsächlich auf Radierungen von Barlach, Beckmann, Corinth, Pechstein oder auch Zille, die auf eine sehr stille Weise mit der emotionalen Wucht der dreidimensionalen Kunst korrespondieren.

Clemens Jöckle machte es in seiner Einführungsrede deutlich, wie stark Stilling sich an der Antike orientiert, und natürlich lässt sich dieser Einschätzung schwerlich widersprechen, ganz unbeschadet der Tatsache, wie stark der Künstler deren einstige, museal auf uns gekommene "edle Einfalt und stille Größe" mit brachialen, durchaus kritisch gemeinten Mitteln ad absurdum führt. Denn es sind doch hauptsächlich beschädigte Körper und Gesichter, die Stilling in seinen schmerzlich und gewiss nicht triumphal gemeinten Bronzen zeigt. Auch die Leiber der so wunderschön harmonischen "Koren" aus Marmor scheinen Rüstungen zu tragen. Und aus den Panzern und Helmen, in denen die Menschen stecken und in einen imaginären Krieg geschickt werden, quillt sozusagen das verletzliche Fleisch heraus. Häute werden sichtbar, Lippen, die immer spröde sind und wie zerbissen anmuten.

Aber dass sich die Antike auch in der Kunst der Renaissance widerspiegelt und diese sich wiederum in Stillings Werken: das lässt sich in den Räumen des Frank-Loebschen Hauses auf Schritt und Tritt feststellen. Da dräuen die Kampfmaschinen, mit deren Durchschlagskraft sich auch Leonardo da Vinci einst beschäftigte. Da gibt es einen "condottiere", der mit den Zähnen malmt, dessen Aggressivität hautnah zu spüren ist. Und einen "centurio", der schreit. Vielleicht ja aus Verzweiflung, nicht nur aus Wut und Eroberungsdrang. Die metaphysischen, vielleicht ja sogar pazifistischen und dennoch so ungebremst vitalen Botschaften, die Stilling mit seinen so perfekt auf- und ausgerüsteten Skulpturen überbringen will, sind relativ einfach zu entschlüsseln. Man muss sie nur verstehen wollen.





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