Stadt Landau in der Pfalz / Frank-Loebsches Haus
HAP Grieshaber
Zum 100. Geburtstag des Künstlers
21.11.09 bis 10.01.10
HAP Grieshaber
HAP Grieshaber: "Der Ringer", Holzschnitt, ca. 30 x 40 cm

Wo Grieshaber zuhause ist?
Man könnte ihn als Oberschwabe bezeichnen, weil Rot an der Rot der Ort seiner Kindheit war. Oder als Nagolder, wo er zur Schule ging und mit vier Ausstellungen in diesem Jahr geehrt wurde. Oder als Reutlinger, weil er hier in die Setzerlehre ging, mit Zwangsarbeit in einer Maschinenfabrik unter Anweisung durch die Gestapo drangsaliert wurde, weil er keinerlei angemessene Arbeit als ehemaliger Assistent bei Prof. Schneider wegen Berufsverbotes ausüben durfte. Jetzt ehren ihn hier ebenfalls vier Ausstellungen.

Oder in Stuttgart (als mehrfach betrogener Künstler) als Einwohner der Landeshauptstadt während des Studiums und in den 1960er und 1970er Jahren als Bewohner des Schriftstellerhauses "Zur Schillereiche" ein Refugium besaß, das auch die Tochter Ricca bei ihrem Fotostudium in dem Atelier lazi nutzte. Raten Sie, wieviele Ausstellungen es dort zum 100. Geburtstag gab.

Oder Karlsruhe, wo er als Akademielehrer einen großartige Generation von autonomen Künstlern sich entwickeln half und sie von Anfang an respektierte. Auch hier gab es vier Ausstellungen zwischen Basis und wirtschaftlichen Nutznießern zur Imageverbesserung der Veranstalter.

Von Berlin bis Hamburg, von Düsseldorf bis Köln, von Dresden bis Leipzig, von Eningen unter Achalm bis München, Konstanz, Nürnberg bis Warschau, Lyon, Pontoide, Coventy, USA, Canada spannt sich der Bogen der örtlichen Präsenz zur thematischen Präsenz. Manchmal kämpft er mit Untergrund-Drucken im besetzten Haguenau (unter Lebensgefahr), zwar Soldat, zwangsverpflichtet, aber von den Freunden - einem Arzt, einem Priester, einem Apotheker - unterstützt, jedoch bis heute ohne eine einzige Ausstellung, weil man ihn hier nicht kennen würde. Dagegen ehrte ihn z.B. die Ville de Schultigheim mit einer umfangreichen Sonderschau, "Musik im Bild" anlässlich der berühmten Antiquariatstage. Große Bühnen (Bonn, Nationaltheater Mannheim, Staatstheater Stuttgart) und das Fernsehen laden ihn ein.

Er zeigte den Vietnamkrieg bereits 1964 in seinem Werk mit dem Beispiel einer genau beobachteten Kreatur aus seinem Garten: dem Hängebauchschwein, von dem niemand wissen wollte, ob es aus Nord oder Süd stammte. Und als der Krieg vorüber war, galt es für die Bootsflüchtigen Hilfe zu bezahlen, unabhängig davon, ob sie persönlich auf Seiten der Profiteure des Krieges schuldig geworden waren.

Die Bauernkriege aus dem 12. und aus dem 16. Jahrhundert in Mitteleuropa und in deutschen Ländern, im 20. Jahrhundert an der Wyhler Baustelle, beim Einzug der Zuckerarbeiter in Havannah oder der Sardinisten in Nicaragua, seine wachen Beobachtungen der katastrophalen Zustände hinter dem "Eisernen Vorhang" zwischen den Bluturteilen der Hild Benjamin und der Selbstverbrennung von Jan Pallach zeigen ihn als Künstler der Bedeutungsinhalte während der 1. bis 3. documenta in Kassel. Im Bonner Verteidigungsausschuß warnte ein riesiger Wandholzschnitt vor der größten Gefahr unserer Zeit: der Atombombe.

Im Grand Palais des Europäischen Gerichtshofes fanden die deutlich über zwei Meter hohen Figuren des "Areopag" als Holzstöcke Kunst am Bau, zusammen mit einer kunstgeschichtlich seltenen, genau hinsehenden Justitia den Platz der Gerechtigkeit gegenüber jedermann.

HAP Grieshaber als Seismograph von 100 Jahren deutscher Geschichte. Und ein Künstler, dessen Beziehungen zur Pfalz und Landau besonders eng waren. Da spielt die Freundschaft zu dem Maler und Holzschneider Rolf Müller-Landau eine große Rolle. Der hatte u. a. den gemeinsamen Kunsthändler Helmut Beisel gemalt, heute in der Pfalzgalerie zu sehen. Er hatte auch in der französischen Besatzungszeit den ersehnten Betriebsstoff für Künstler feste nach Karlsruhe geschmuggelt: südpfälzischen Wein! Zahlreich die Malbriefe Grieshabers an den Freund.

Aber auch andere Veranstaltungen der pfälzischen Sezession wie "Bild und Bühne", "Vogelfrei", "Maler und Modell" als Holzschnitt sind Grieshabers Referenzen an die Kollegen in der Pfalz. Filme und performances, ars multiplicata oder die Malerei der jungen Wilden wurde von Grieshaber 30 Jahre vor ihrer "Marktentdeckung" entwickelt - das entspricht wenigstens vier bis fünf Künstlergenerationen an Akademien. Und kein bildender Künstler hat so viel im französischen Sinn der Illustration mit den Autoren zusammengearbeitet. Kunst zum Studenten- und Arbeiterpreis - das war einmal Grieshabers Idee und die Idee seiner Schenkungen. Heute steht wieder der "Holzschnitt im Buch" als Vehikel zur Herstellung von Basis hier in Landau im Zentrum.


Besprechung von Brigitte Schmalenberg, Die Rheinpfalz vom 23.11.09

Spiegel der Geschichte

Ausstellung mit Arbeiten von HAP Grieshaber in der Galerie Z und im Frank-Loebschen-Haus in Landau

Am 15.02. wäre HAP Grieshaber, einer der streitbarsten deutschen Künstler mit internationalem Einfluss, 100 Jahr alt geworden. Dem Reigen der Ehrungen, die sogar eine Sonderbriefmarke beinhalten, schließt sich mit einer fulminanten Ausstellung zum Thema "Holzschnitt im Buch" auch die Galerie Z in Landau an.
Die über 200 Exponate - darunter wertvolle Unikate - widerspiegeln nicht nur Kunst- sondern auch Zeitgeschichte. Ein Glücksfall. "Solange der Einzelne nicht glaubt, aus seinem eigenen Wesen heraus das Elend dieser Welt zu sehen, kann man ihm nicht helfen. Dem Engel der Geschichte muss jeder selbst zum Kampf sich stellen." Das Zitat Helmut Andreas Paul Grieshabers zu seiner Aquarellskizze "Jakob ringt mit dem Engel" aus den von ihm selbst herausgegebenen Flugschriften "Engel der Geschichte" war zugleich die Lebenseinstellung dieses Mannes, der 1909 im oberschwäbischen Rot an der Rot geboren wurde und sich weder durch Soldatenzeit und Kriegsgefangenschaft noch durch das Berufsverbot in der Nazizeit von seinem Kampf für Demokratie und Gerechtigkeit abhalten ließ. Ein Kampf, den der gelernte Buchdrucker und Schriftsetzer sowie studierte Kalligraph, den bereits erste Studienreisen in den Vorderen Orient und nach Griechenland führten, vor allem mit den Waffen des Holzschnittes und der Herausgabe kulturpolitischer Zeitschriften im In- und Ausland führte.

Beides barg revolutionäres Potenzial. Zum einen, weil HAP Grieshaber die grobe, mittelalterliche Holzschnitttechnik zunächst durch feinen Linienschnitt, dann durch eine immer stärkere Synthese mit dem Flächenholzschnitt technisch weiterentwickelte, zum Zweiten, weil er sie mit einer modernen Bildsprache und hochaktuellen gesellschaftspolitischen Themen verknüpfte. So stellt sich sein Gesamtwerk, das illustratorisch stets auch die Anliegen Gleichgesinnter auf der ganzen Welt begleitete, als expressiver Zeitspiegel der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts dar, die sich wiederum in mittelalterlichen Geschehnissen, wie etwa den Bauernkriegen, sowie barocken Ausdrucksformen widerspiegelt. Vietnamkrieg und Militärdiktaturen in Deutschland, Chile oder Griechenland, der "Versuch eines Gesprächs zwischen Israelis und Arabern", die Umweltverschmutzung und der Kampf gegen den Bau von Atomkraftwerken, all diese Probleme, die HAP Grieshaber als Anwalt der Unterdrückten und Sprachrohr der Protestler unermüdlich aufgriff, finden sich nun in der Ausstellung der Galerie Z wieder, die zudem auf Mappenwerke seiner Studenten, Freunde und Vorbilder verweist und die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin Margarete Hannsmann in den Vordergrund rückt.

Deren Sohn, Cornelius Hannsmann, war es auch, der diese spannende Werkschau konzipierte und bei der Vernissage mit fundiertem Wissen zu jedem einzelnen Bild und einem unerschöpflichem Anekdotenschatz zu dessen Entstehung bereicherte. So offenbarte sich - ganz entsprechend der raffinierten Vielschichtigkeit dieser Holzschnitt- und Linolarbeiten - auch manche verborgene Wahrheit zu den Zyklen "Polnischer Kreuzweg", "Buchenwald", "Grob, fein und göttlich" oder dem "Totentanz von Basel", mit dem Grieshaber Weltruhm erlangte.

Neben all diesen hochkarätigen Präsentationen hob Hannsmann just in Landau aber ein "Pharaonengrab" aus, dessen Inhalt ihn besonders beglückte: in einer Vitrine gleich am Galerieeingang liegen wertvolle Malbriefe HAP Grieshabers an den lange Jahre in Landau beheimateten Künstler Rolf Müller-Landau, mit dem ihn eine enge Freundschaft und gelegentliche Zusammenarbeit verband, die sich beispielsweise in den ebenfalls präsentierten Arbeiten zur "Pfälzischen Sezession" (Bild und Bühne; Vogelfrei) ausdrückt. Die handschriftlichen, sehr persönlichen Dokumente - darunter eine Geburtsanzeige der Tochter Riccarda, datiert auf "18 VII 54" - sind eine Leihgabe der Witwe Müller-Landaus und erstmals öffentlich zu sehen.





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HAP Grieshaber
HAP Grieshaber: "Der Ringer", Holzschnitt, ca. 30 x 40 cm