Kunstverein Germersheim / Zeughaus Germersheim
"Kunst in den Gewölben 2006"
04.11.06 bis 26.11.06
Angelika Herker
Angelika Herker: "Wasserlandschaft" (2000)

mit Sabine Amelung (Grafik), Florian Franke (Malerei), Angelika Herker (Collage), Christel Hermann (Malerei, Objekte) und Susanne Ritter (Malerei).

Museumsnacht
10.11.06 von 19.00 bis 24.00 Uhr
Frauenchor "Ultra-Schall" um 20.30 und 21.30 Uhr
Kaffee und Kuchen

Einführung von Dr. Matthias Brück

Es gehört zu den unbestrittenen Vorzügen des Kunstvereins Germersheim, dass er stets Künstlerinnen und Künstler zu seinen Präsentationen einlädt, die eben nicht vergnügt im sogenannten Mainstream paddeln, vielmehr durch Originalität und Reflexion überzeugen. Darüber hinaus werden die Betreffenden nicht unter einen ach so tiefgründigen Gesamttitel wie "Begegnung", "Dialog" oder "Annäherung" subsumiert und bewahren deshalb von Vornherein ihre Eigenständigkeit und Besonderheit, die sie ja schließlich auch verdient haben.

Nun denn, Angelika Herker versucht auf den ersten Blick mit Materialien wie Wellpappe, Transparentpapier oder Filzpappe beinahe den oft zitierten Spruch von Heraklit "Panta rei" - "Alles fließt" ad absurdum zu führen. Denn aus den gerissenen mit wassertypisch eingefärbten Stoffen entstehen ihre regelrecht plastisch gefassten "Wasser-Landschaften", die fast erstarrt, gefroren zu sein scheinen. Da können Meer oder See in den unterschiedlichsten Zuständen festgehalten werden. Momentaufnahmen von trügerischer und tatsächlicher Stille, sich einmal überschlagende Brandungswellen mit den kippenden Schaumkronen erreichen annähernd dreidimensionale Formationen.

Parallele Strömungen, gegenläufiger Wellengang, offenbaren eine genauste Beobachtung des Phänomens "Wasser" und dennoch gleitet diese Künstlerin nicht ins Illustrative, Dokumentarische ab. In ihren Collagen und Decollagen offenbaren sich Abstraktions- und Transformations-Prozesse, die sich längst nicht mehr nur auf die jeweiligen Oberflächen beschränken. Sie iniziieren gewissermaßen eine innere, in die Tiefe verweisende geheimnisvolle Bewegung: Also doch kein Widerspruch zu Heraklit…

In einem Katalog von Christel Hermann steht der bemerkenswerte Satz: "Bilder sind Inseln, Inseln sind Schutzräume in lauter Zeit". Und diese Zeit hat Schutzräume, Refugien und Nischen bitter nötig. Doch in den Acrylen, Mischtechniken und Installationen spiegeln sich deshalb keine Fluchtbewegungen, Resignationen oder reine Verweigerungen wieder. Im Gegenteil: Es sind Orte der Stille, des Sich-Sammelns, quer zu den Auswüchsen unserer Erlebnis- und Spaßgesellschaft, quer zu dem Bedrängt-Werden durch Bilderflut und Lautstärke. Phänomene, die sich als Kommunikationsangebote tarnen, im Endeffekt jedoch nur zur Einsamkeit, zur Vereinzelung führen dürften…

Diese Orte, die Christel Hermann eben als geistige Regenerationszentren installiert hat, zeigen sich als Räume, die weit über das reine Informel hinaus, Inhalte andeuten, Schichten des Erlebten und des Erinnerns zu einer offenen Chiffre werden lassen. Neben Ocker-, Braun- oder Beigetönen dominiert die Farbe Weiß wohl alle Kompositionen. Sie bedeutet Verzicht auf die optische "Pfauenhaftigkeit" der Farbgebung, symbolisiert Konzentration und Beschränkung als Quelle möglichen Neubeginns. Leicht verschwommene Kinderphotos, isoliert gehängte Kleidchen werden zu bedeutungskonstituierenden Momenten, zu indirekten Appellen, eine zerstörende Gegenwart nicht verantwortungslos in die Zukunft zu transponieren.


Es ist schon verblüffend, was mit und durch eine eigentlich belanglose Form so alles geschehen kann. Zumindest dann, wenn sich eine Künstlerin wie Sabine Amelung mit ihr beschäftigt, ohne vielleicht dabei ein bestimmtes Ergebnis im Auge zu haben. Am Anfang war ein Stuhl - gewiss kein besonderer Gegenstand. Doch er muss diese Künstlerin geradezu gefordert haben, herausgefordert sogar, als wollte er nicht länger in der vorgefundenen Weise existieren. Und so könnte ein Spiel mit zahlreichen Variationsmöglichkeiten begonnen haben. Ein Format wird festgelegt, das Objekt wird gedreht, ändert seine Größe, verliert seine einstige Zuhandenheit zu Gunsten reiner Vorhandenheit à la Heidegger…

Immer neu wird er mit zahlreichen Form-Verwandten auf zum Teil hellrotem Untergrund angelegt - und eine Ordnung scheint zwanglos in die andere überzugehen. Ständig begleitet eine unterschwellige Bewegung diesen Prozess. Oft mit voller Tuschenstärke beginnend, um allmählich zu verblassen, ja beinahe zu verschwinden. Feingerillte Kreissegmente, die an frühere Schallplatten erinnern mögen, begegnen sich zwanglos im Raum, als wollten sie der Kalligraphie entsprechen, in die Sabine Amelung vielleicht ihr künstlerisches Credo eingeschrieben hat: "j’ aime que ca continue" - ich hätte gerne, dass sich das fortsetzt. Dem kann man nur zustimmen!

Viele Kunstschaffende wählen das Thema "Köpfe" oder "Mensch". Doch Florian Till Franke ist wohl einer der originellsten und eigenwilligsten Interpreten. Seine Exponate verweigern jegliches Wiedererkennen. Weder Portrait noch Abstraktion im herkömmlichen Sinne treffen hier zu. Denn es scheint, als wäre dieser Künstler in fast archäologischer Neugierde auf prähistorische Relikte gestoßen, die er in unermüdlichem Forscherdrang zu rekonstruieren versuchte…

Schicht um Schicht dürften sie Gestalt gewonnnen haben. Sand, Bindemittel und Farben wurden aufgetragen, nur langsam veränderte sich die Form. Drahtstücke entwerfen bisweilen Teile einer möglichen Physiognomie, die ungesichert bleibt, bestenfalls Ahnungen vom einstigen Erscheinungsbild gewährt. Möglicherweise wäre ja der Begriff "Maske" eher angebracht, gerade weil intensive Farbgebungen und Untergrundstrukturen beinahe an prächtige Sarkophage altägyptischer Totenkulte erinnern mögen. Und bei manchen Exponaten ist man tatsächlich versucht, den Deckel zu heben, um die von Florian Franke inszenierten Geheimnisse zu lüften. Wie stellte August Everding so richtig fest: "Phantasie muß grenzenlos sein. Denn gezähmt wäre sie keine Phantasie".

Die Menschen-Bildnisse von Susanne Ritter sind eigentlich keine Portraits im herkömmlichen Sinne. Hat sie doch ihre Modelle auf der Straße angesprochen, gezeichnet oder fotografiert. Im Atelier - ohne die jeweiligen Modelle - wurden die Vorlagen nun in mehr als doppelter Lebensgröße zu dem, was Sie jetzt vor sich sehen. In erlesener Eitempera- und Acryl-Lasurtechnik entstanden nun Arbeiten, die entfernt mit der frühen Bildnismalerei, mit Mumienportraits oder Ikonen Ähnlichkeiten aufweisen mögen, wie die Künstlerin selbst anmerkt.

Das Faszinierende daran ist eine ständige Uneindeutigkeit. Einmal scheint eine Synthese aus Realem und Idealem zu überwiegen, einmal wird man von einer leisen Stille, ja Leblosigkeit erfasst, die durch die planen, fast monochromen Hintergründe noch verstärkt werden mag. Der jeweilige Blick - auch wenn er den Betrachter direkt zu treffen scheint, vermag nur selten, wenn überhaupt eine kaum zu definierende Distanziertheit zu relativieren.

Diese Menschen haben längst ihren Alltag suspendiert, existieren in anderem Räumen, Welten. Und dennoch, vielleicht gerade deshalb packen sie ihr Gegenüber, der sich dieser genialen Rätselhaftigkeit, diesem Anders-Sein nicht entziehen kann, nicht mehr entziehen will.



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Angelika Herker
Angelika Herker: "Wasserlandschaft" (2000)
Christel Hermann
Christel Hermann: "OE 6-4" und "OE 6-5"
Sabine Amelung
Sabine Amelung: "Höhenunterschied 2" (2006), Tusche auf Papier, 70 x 100 cm
Florian Franke
Florian Franke: "Kopf"
Susanne Ritter
Susanne Ritter: "Duygu" (2006), Eitempera/Acryl auf Leinwand, 120 x 100 cm