Stadt Landau in der Pfalz / Frank-Loebsches Haus
"Neues vom Golem"
09.10.05 bis 13.11.05

Vernissage am 09.10.05 um 11.00 Uhr
Begrüßung: Hans-Dieter Schlimmer, Bürgermeister der Stadt Landau
Einführung: Dr. Matthias Brück (Landau)


Unter dem Titel "Das Geheimnis des Golems" fand in den frühen 1990er Jahren an gleicher Stelle eine Ausstellung statt, die eine künstlerisch-poetische Annäherung an die sagenumwobene Figur versuchte.

Der "Ungeschlacht", hebräisch Golem, ist ein von Menschenhand erschaffenes, künstliches Wesen aus der jüdischen Überlieferung, die heute in erster Linie mit Rabbi Löw (1512-1609) und der Stadt Prag in Verbindung gebracht wird. Im Stile einer Hommage wurde versucht, Gedanken und Gefühle des Golems zu verbildlichen. Inzwischen haben die Fortschritte der Genetik und Robotik die Frage über das Wesen des Menschen und die Möglichkeit seiner künstlichen Reproduktion in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen gerückt.

Das neue Ausstellungsprojekt versucht den neuesten Entwicklungen in der Geschichte der "zweiten Schöpfung" Rechnung zu tragen und fragt mit künstlerischen Mitteln nach unserem Selbstverständnis, nach dem Zugang zu einer Welt, die nahezu unüberschaubar und komplex geworden ist.

Neben the realMoi.Moser sind Ingeborg Knigge, Tobias Mohr und Thomas H. Herr an dem Projekt beteiligt.

Einführung von Dr. Matthias Brück

Gewiss, die Gestalt des Golem als ein vom Menschen geschaffenes Lebewesen ist Bestandteil der jüdischen Mystik, die im Wesentlichen auf der Kabbala, der Überlieferung göttlicher Dinge beruht.

Vom Alten Testament, Rabbi Löw, Gustav Meyrinks Bucherfolg "Der Golem bis in die Gegenwart" - man denke an Stanislaw Lem, der seinen Computer "Golem" nannte, scheint diese Faszination "der noch ungeformten Masse", so die wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen, fortzuwirken.

Selbst eine Online-Zeitschrift "www.golem-net.de" widmet sich zweimal im Jahr diesen okkulten Sphären. Der Golem lebt - auch in der touristischen Folklore.

Nur wie? Nun, das untersucht Moishe Moser in seinem Projekt der "zweiten Schöpfung", indem er direkt-indirekt wie nach der kabbalistischen Lehre davon auszugehen scheint, dass Gott seine Schöpfung nicht zu Ende gebracht hat.

Das kann man nur bejahen, wenn man sich den gegenwärtigen Weltzustand betrachtet. Thomas Herr hat auf seiner Evolutionstafel draußen die Weiterentwicklung des Menschen - oder handelt es sich bereits um einen Transformationsprozess des Golem - bestens dokumentiert.

Gott ist hilflos, wie es ein Exponat illustriert, denn der Mensch scheint den klugen Schöpfungsplan nach eigenem Gutdünken geändert zu haben.

Am Anfang war das Wort, gewiss; und Schrift wie Sprache bringen immer wieder Neues, Anderes hervor. Allerdings nicht nur schöne Verse und zeitlos gültige Dramen. Das Wort "Wahrheit", einst dem Golem in den Mund gesteckt, um ihn zum Leben zu erwecken, verliert seinen Charakter als Katalysator, wird zum Begriff, der sich verselbstständigen kann, der das eigentlich Lebendige reglementiert, es des Sinnlichen beraubt.

Die DNA wird im tiefen Keller am Computer bestaunt, indes das interaktive Leben scheint zu verkümmern. Die Wörter, zu einem chaotischen Wirbel von Schlagzeilen degeneriert, haben längst den einstigen Klärungs- und Aufklärungscharakter verloren, dienen sozusagen einem anderen Herrn. Moishe Moser versteht es meisterlich hintergründig-subversiv, in seiner Genealogie des Golem den Betrachter positiv zu verunsichern.

Er erweckt regelrecht ein Netzwerk möglicher Golem-Existenzen zu Leben: vom jungen, getarnten, anonymen Golem bis hin zu der sich selbst generierenden Golem-Familie. Alles Golem - oder was?

Es hat zumindest den Anschein. Denn Tobias Mohr belegt diese permanente Unterwanderung beispielsweise an Hand von exakten wissenschaftlichen Forschungen, die beweisen, dass schon längst ein Identitätswechsel stattgefunden hat: Prominente Politiker, Sportler oder Stars sind keineswegs das, was sie zu sein scheinen. Den Verdacht hatten wir schon lange, hier ist der Beweis.

Natürlich könnte man diese Phänomene insgesamt der Problematik von Bild und Wahrheit zuordnen und dafür Platon als ersten Zeugen benennen. Doch Moishe Moser verzichtet ja absichtlich auf Wort und Sprache, auf Philosopheme und Theorien, denen man begreiflicherweise nicht mehr oder höchstens bedingt noch trauen sollte - auf diese Inflation von Buchstaben, vergleichbar mit der Buchstabensuppe von Knorr oder den totalitären Rechner-Bildern des Künstlers.

Vielleicht liegt ja eine Möglichkeit, nicht in dieser Flut von Informationen zu ertrinken, im Besinnen, in dem Wiedergewinnen von Kontemplation und einem zielfreien Versenken, wie es die faszinierenden Schwarz-Weiß-Fotos von Ingeborg Knigge ermöglichen? Ein lohnendes Angebot.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Moishe Moser macht nicht den zeitgenössisch-deutschen Pessimismus. Er warnt und mahnt, beruft sich meines Erachtens zu Recht auf Pervertierung von wissenschaftlichen Trends wie Gen-Forschung, Robotik bzw. den Verlust eigener Identität inklusive dem Zerfall von Sinnlichkeit.

Doch seine Golem-Konzeption will eigentlich nur etwas transparent werden lassen, was die meisten von uns in totaler Gewöhnung und Passivität übergehen. Und das mit Mitteln der Kunst, in Form von seiner Malerei, die dieses Thema vielschichtig, abgründig, geheimnisvoll bis unheimlich vor Augen führt. Schließlich wird der Golem irgendwo auch als ein Warnender interpretiert.

Und vergessen Sie nicht, immer wieder gibt es Momente in dieser Ausstellung, in denen das nicht ganz ernst Gemeinte mit dem Ernsten spielt. Auch das zeichnet dieses Projekt neben vielem anderen aus.

Ich selbst nehme mir - "golemlike" - einen Buchstaben aus dem Mund. Nicht um zu sterben, wie es in der Überlieferung heißt, sondern um Ihnen uneingeschränkt endlich das Betrachten der Ausstellung zu ermöglichen.




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