Kunstverein Germersheim / Zeughaus Germersheim
"Video + Installation"
Mit Sieglinde Bölz, Thomas Putze und Ulrike Weiss
16.02.08 bis 09.03.08
Ulrike Weiss
Ulrike Weiss

Einführung von Dr. Matthias Brück

Bernhard Shaw, der alte Spötter, hatte wohl Recht. Zitat: "Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch".

Nun hoffe ich, nein, ich bin sicher, dass Sie alle hier zur Kategorie der "Schneider" gehören. Dass Sie sich bei den Werken von Sieglinde Bölz, Thomas Putze und Ulrike Weiss - ohne den Ballast möglicher Vorverständnisse oder gar Vorurteile - auf die einzelnen Präsentationen einlassen.

Ich kann Ihnen da höchstens einen Apéritif zur Einstimmung anbieten: Schon beim ersten Blickkontakt verblüffen die Installationen von Ulrike Weiss durch eine eigentümliche, dichte Atmosphäre, durch eine annähernde "Prächtigkeit", die vielleicht in den kulturellen Dialogen mit Marokko und dem dort Erlebten zusammenhängen mögen. Da hängen - vielfach auf den Kopf gestellt - Scharen von organischen Ornamenten aus transparentem Material von der Decke herab. Drehen sich sanft - nicht nur bei Ventilatoren-Wind und bilden in der Bewegung eine filigrane, offene Einheit. Jedes einzelne Objekt wirft seinen stets wechselnden Schatten auf die jeweiligen Wände und verstärkt die ästhetische Flüchtigkeit.

Wie in einem Zauber-, einem Märchenwald ohne Anfang und Ende scheinen die Gegensätze aufgehoben. Eine selten unsentimentale Harmonie ereignet sich – fast eine Wunder in hektischen Zeiten. Doch was verheißen die duftigen Röcke, die gewissermaßen ihre einstigen, schmückenden, farbfrohen Blätter verloren haben? Verlust, Demaskierung oder ironischer Appell für eine neue Askese?

Wenn der Projektor nun ein komplexes Bild an die Wand wirft, von dem ein Teil, ein Frauengesicht, über raffinierte Spiegel an die gegenüberliegende Wandfläche projiziert wird, dann erreicht diese Künstlerin vielleicht noch eine weitere Steigerung: Das je Wirkliche wird in Frage gestellt, es verliert seine Selbstverständlichkeit zu Gunsten pluraler Möglichkeiten. Auch wenn es nur ein Traum sein sollte, mag es zugleich ein indirekter Appell an ein anderes, offenes Denken sein. Auf den ersten Blick scheint Sie Sieglinde Bölz in ein Labyrinth von Farben, Kreisen, Ellipsen, Rauten oder Fraktalen zu entführen. Und das stimmt!

Doch hinter dieser gewaltigen Mächtigkeit steht ein Prozess, in dem letztlich gestisch-expressive Malerei und konstruktiv-konzeptuelle Arbeiten miteinander verknüpft wurden. Ausgangspunkt war die wissenschaftliche und kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem komplexen Begriff des Labyrinths.

Für die einen ein gefährlicher Irrgarten, für die Künstlerin wohl eher eine Daseins-, eine Lebenssituation, in der es gilt, dem persönlichen "Ariadne-Faden" zu folgen. Unwissenschaftlich betrachtet, leben diese Exponate aus gleichmäßig verlaufenden Schwingungen, parallel bewegten Strömungen, so dass man fast den einstigen Ursprung dieser Resultate vergessen könnte. "Anamorphose" nennt Sieglinde Bölz die Methode der Verzerrung der absoluten Kreisform. Ein kompliziertes geometrisches Verfahren zur Manipulation der Kreislinie im herkömmlichen Koordinatensystem. Durch Änderungen der x- und y-Achsen (Verkürzen, Stauchen etc.) entstehen Ausbuchtungen oder spontane Abweichungen, wodurch die Kreislinie ihre Regelmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit verliert. Die einzelnen Ringe können gestaffelt werden, können sich in einer Spiralbewegung zusammenschließen, um nur einige wenige Möglichkeiten dieses Prozesses zu nennen. Entscheidend wird das Hervorrufen eines neuen Raumempfindens durch die erwähnte gestische Malerei und einer geometrisch parallel ausgerichteten Staffelung der verzerrten Kreisringe – begleitet von Perspektiven- und Tiefenwechsel. Assoziationen zu planetarisch-kosmischen Bewegungen liegen nahe, steigern sogar noch das neu installierte Raumempfinden des Betrachters.

Doch zurück zur Erde: da eröffnet die Video-Arbeit "Way 2" eine Fahrradfahrt der Künstlerin von Antalya nach Istanbul - durch spezielle Kameraführung ein regelrechtes Miterleben, ein Mitfühlen der holperigen Schotter-Strecke, der wechselnden Landschaftlichkeit, sodass man glauben könnte, selbst das Subjekt all' dieser Bewegungen, Anstrengungen und Erfahrungen einer fremden Kultur zu sein. Man kann es hier nur andeuten!

Sie erinnern sich vielleicht noch an den Song der Gruppe "Kraftwerk" - "Wir fahren, fahren, fahren auf der Autobahn. Jetzt schalten wir das Radio an und aus dem Lautsprecher klingt es dann: Wir fahren, fahren, fahren auf der Autobahn." Alles gelogen: Wenn Sie heute auf der Autobahn fahren und das Radio anstellen, tönt es zumeist: "Vorsicht Stau!" Und je nach der beruhigenden Kilometerangabe dieses beglückenden Ereignisses stehen Sie auch alsbald langer oder kürzer im Stau. Stillstand: Sie brauchen nicht mehr zu rasen. Das Easy-Rider-Gefühl verebbt im "Stop and Go".

Wie lebt man nun im Stau, mag sich Thomas Putze gefragt haben, als er seine Skulpturen aus Holz und Eisenresten dynamisch Schlange stehen ließ? Gar nicht so schlecht. Denn immerhin hat sich das "horizontale Gewerbe" bereits zu einem "mobilen Gewerbe" entwickelt: Die Autobahn-Freier reißen sich geradezu um die verführerische Holz-Hure.

Was da nun insgesamt an morbidem Atmosphärischen, an skurrilen Charakterformen und Deformationen listig, hintergründig zusammentreffen mag, spiegelt zumindest eine Entwicklung unserer Gesellschaft wieder: Immer unterwegs sein, in welchem "Wägelchen" auch immer. Sich immer markenverpflichtet zeigen, selbst beim Traktor mit dem berühmten "Jägermeister-Hirschgeweih-Lenker". Und somit erscheint es auch nicht weiter verwunderlich, wenn mancher Figur bereits Räder gewachsen sind beziehungsweise die Mutation zum "Rennschwein" Fortschritte macht! Stau-Sein heißt also letztlich: immer noch so tun, als wäre man mit "full speed" dabei. Stau-Sein kann ebenso im übertragenen Sinn bedeuten: Die Geschwindigkeit wird zur Leere, die Leere treibt zur ständigen Beschleunigung an. Folge: ein rasender Stillstand.

Wären nur alle Staus von dieser Qualität!



[zurück]
Ulrike Weiss
Ulrike Weiss
Thomas Putze
Thomas Putze
Sieglinde Bölz
Sieglinde Bölz