Stadt Frankenthal - Kultur und Sport / Kunsthaus Frankenthal
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"expressiv bis sachlich"
Grafik der 20er Jahre aus dem Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern
06.03.08 bis 13.04.08
Georg Scholz
Georg Scholz: "Zeitungsträger" (1921) Aquarell und Tusche über Bleistift auf Papier

Vernissage am 06.03.08 um 19.00 Uhr

Begrüßung:
Theo Wieder, Oberbürgermeister und Vorsitzender der Frankenthaler Kulturstiftung
Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig, Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Wissenschaft,
Jugend und Kultur

Einführung:
Dr. Britta E. Buhlmann, Direktorin der Pfalzgalerie Kaiserslautern:
"Vom kühlen Blick und entschleunigter Zeit"

Musik:
Städtische Musikschule Frankenthal


Bislang kaum gezeigte Grafiken der 1920er Jahre aus den Beständen der Pfalzgalerie Kaiserslautern präsentiert die Stadt Frankenthal (Pfalz) in einer Ausstellung den Räumen des im Herbst vergangenen Jahres eröffneten Kunsthauses Frankenthal.

Unter der Bezeichnung "expressiv bis sachlich - Grafik der 20er Jahre" werden dabei wahre Schätze gezeigt, die von Größen wie Max Beckmann, George Grosz, Otto Dix, Lyonel Feininger, Alexander Kanoldt und anderen Künstlern stammen und die bisher in den Depots der Pfalzgalerie verborgen waren. Die herausragende Grafische Sammlung der Pfalzgalerie umfasst ca. 15.000 Blätter. "Wir freuen uns, die Grafische Sammlung der Pfalzgalerie etwas bekannter machen zu können", so Oberbürgermeister Theo Wieder im Rahmen einer Pressekonferenz. "Acht kreisfreie Städte und acht Landkreise finanzieren zu einem wesentlichen Teil den Bezirksverband und damit seine Einrichtungen. Aus diesem Grund sollten auch wir die Einrichtung Pfalzgalerie Kaiserslautern stärker als bisher für uns nutzen. Ich kann mir durchaus vorstellen, einmal jährlich ein Ausstellungspaket von der Pfalzgalerie zur Verfügung gestellt zu bekommen". Insgesamt werden 50 Aquarelle, Zeichnungen und vor allem Druckgrafiken aus der seit den 1920er Jahren zusammengetragenen Sammlung gezeigt.

Die 1920er Jahre sind eine Zeit voller Kontraste: Zum einen sind sie durch die Folgen des Ersten Weltkriegs und die wirtschaftliche Rezession geprägt, zum anderen sind sie als "Goldene Zwanziger" bekannt, eine Periode voller Lebenslust und neuen Reichtums. Diese Spannung ist auch in der bildenden Kunst greifbar: So entgegengesetzte Kunstströmungen wie der Expressionismus und Neue Sachlichkeit existieren in der Grafik nebeneinander. Die Ausstellung spannt einen Bogen von expressiv-visionären Bildern bis hin zu distanziert-kühlen Werken der Neuen Sachlichkeit. Zwischen Boulevard und Hinterhof versammeln sich Soldaten und Dirnen, arme Schlucker, Künstler und die feine Gesellschaft.

 
Begleitprogramm zur Ausstellung

13.03.08 | 18.00 Uhr
"Die Grafik der Neuen Sachlichkeit"
Führung mit Dr. Heinz Höfchen, Leiter der Grafischen Sammlung der Pfalzgalerie Kaiserslautern

19.03.08 | 18.00 Uhr
"Die Pfalz nach dem 1. Weltkrieg (1918-1933)"
Vortrag von Jürgen Keddigkeit, Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde


Einführung von Dr. Britta E. Buhlmann

Ich freue mich, Ihnen heute Abend einen Großteil der Grafiken der Neuen Sachlichkeit aus dem Bestand unseres Museums Pfalzgalerie Kaiserslautern vorstellen zu können.
Die Bezeichnung "Neue Sachlichkeit" wurde 1922 geprägt von Gustav Friedrich Hartlaub, dem damaligen Direktor der Mannheimer Kunsthalle. Der Begriff steht für das Interesse der Künstler ihre Motive distanziert und kühl wiederzugeben, sich auf Dinge und Personen zu beschränken und glatte, stilisierte Formulierungen zur Umschreibung realistischer Sujets zu finden. Die Themen, derer sich die Neue Sachlichkeit vorwiegend bedient, sind Portrait und Menschendarstellungen, Stadt- und Landschaftsbilder, Industrie- und Technikthemen aber auch Stillleben.

Nehmen Sie zum Beispiel das Blatt "Nayla im Profil". Max Beckmann hat es 1923 angefertigt. Es ist glatt, elegant und Nayla wirkt unnahbar. Ihr Wesen, wir können auch vom Sein sprechen, bleibt im Dunkeln. Ebenmäßige Züge, ein regloser Ausdruck, häufig große Augen, wie sie für die Stummfilmstars dieser Zeit typisch sind und eine makellose Glätte treten an die Stelle individueller Merkmale und bestimmter, sehr persönlicher Züge. Eine für die Zeit allgemein verbindliche Mode und bestimmte bildnerische Konzepte setzen die Geltung des Individuellen außer Kraft. Der Mensch wird zum Modell, also zum Formträger und ist nicht Individuum oder, wie wir gelegentlich sagen, beseelt. Sie können das auch an einem Holzschnitt von Gerhard Marcks sehen mit dem Titel "Familie", der aus dem gleichen Jahr, 1923, stammt. Mann, Frau und Kind sind relativ beziehungslos in einer Komposition verbunden. Wir könnten sie als holzschnittartig charakterisiert bezeichnen und sehen, in welch enge Verbindung Gerhard Marcks Inhalt und Medium seiner Darstellung gebracht hat. Deutlich erkennen wir eine Personengruppe, erfahren aber nichts über Wünsche oder Ziele dieser Menschen, über ihre Haltung oder ihre Empfindungen. Wir stellen ihre Beziehungslosigkeit fest und erleben in ihr diese Form sozialer Kälte, die auch von einem Kanonenofen, der an der rechten Seite ins Bild gedrängt ist, nicht aufgehoben werden kann.

Auch die Art der Raumgestaltung ist in diesen Werken ein unbedingt stilbildender Faktor. Wiederkehrende Motive sind der Kastenraum, Fluchten, Panoramen und Kulissen...
Nehmen wir z.B. die "Gaukler" von Carlo Carra aus dem Jahr 1922. Zwei Menschen und ein Hund sind hier einander in einer Dreieckskonstruktion zugeordnet. Sie haben keinen ersichtlichen Kontakt zueinander, der Raum, in dem sie sich befinden, ist lediglich durch eine einzige horizontale Linie definiert und durch ein Rechteck, das wir als Fenster lesen. C'est tout.
Wir können also gerade vorn und hinten definieren und uns vorstellen, dass sich die Szene in einem Raum abspielt. Welcher Art dieser Raum allerdings ist, oder in welchem Zusammenhang Raum und Figuren zueinander stehen, darüber wird in diesem Blatt keine Aussage getroffen.
Umgekehrt, aber nicht weniger trostlos, erleben wir die Szene "Schwimme, wer schwimmen kann" von George Grosz. Hier hat der Raum eine klare Perspektive durch die Fluchtlinien. Ein Ausweg allerdings sind sie nicht, denn wir erleben diesen Raum als Kastenraum, als Käfig und der Mensch, der hier in dieser bedrückenden Enge erschöpft am Tisch sitzt, und seinen Kopf müde auf seinen linken Arm fallen lässt, befindet sich in einer Lage, die wir nicht anders als aussichtslos beschreiben können. Heimat, wo auch immer, lässt sich in den Räumen der Neuen Sachlichkeit nicht finden.

Auch dort, wo Menschen auf engstem Raum dicht aneinander gedrängt sind, bleiben sie vereinzelt. Wo isoliert wird, entsteht Leere. So erleben wir Einsamkeit, hier nicht allein als menschliche Entfremdung, sondern auch im Sinne einer transzendentalen Obdachlosigkeit.
"Die Eule" von Gerhard Marcks aus dem Jahr 1921 z.B. zeigt eine, in ein kariertes Tuch gehüllte Gestalt. Sie sitzt, möglicherweise auf einer Dachterrasse, auf einer Bank und wird bedrängt von Architekturelementen. Wir sehen Dächer, eine Säule, eine Balkonkonstruktion, ein Fenster. Vor dieser Gestalt, die auf der Bank kauert, steht eine Kerze, unter Umständen ein Hoffnungszeichen. Und links und rechts von ihr sehen Sie Vögel, von denen nicht klar ist, ob sie trösten oder diese Gestalt bedrängen. Vögel und Licht sind Versatzstücke einer paradiesischen Idylle. In unserem Blatt sind sie dialektisch in Enge und Bedrängtheit der Situation gesetzt. Eindringlich weist Gerhard Marcks so auf die Abwesenheit menschlicher Wärme und himmlischer Geborgenheit hin.

Das schon erwähnte Bild "Die Familie", ebenfalls von Gerhard Marcks, ist mit Holzdielen am Boden und dem Kanonenofen in ein ebenfalls sehr enges Raumgefüge eingebunden. Auch hier symbolisiert die Enge trotz der körperlichen Überschneidungen der Figuren Trostlosigkeit. Die Mutter hält das Kind auf dem Schoß, das Bein des Vaters überschneidet optisch dasjenige der Mutter, und doch wirken alle drei Menschen isoliert, einsam und bewegungslos. In modernen Zusammenhängen würden wir vielleicht von einer Art "Filmstil" sprechen. Auch darin sehen Sie wieder den Hinweis auf das, was ich die angehaltene Zeit genannt habe.

Otto Dix' Kaltnadelradierung "Die Barrikade" von 1922 ist ein weiteres Beispiel extremer räumlicher Enge und Bedrängtheit. Der Künstler zwingt unseren Blick in Nahsicht auf ein Knäuel von Körpern toter und lebendiger Soldaten. Eine aufgebrochene Margarinekiste, Stacheldraht, eine Radfragment und ein Fahrradgestell - alles ist hoffnungslos ineinander verwoben doch ohne inneren Kontakt, der auf irgendeine Form von Menschlichkeit hindeuten könnte. Isolation ist hier emotionale Leere. Dichte und Motivfülle sind Zeichen absoluter Einsamkeit.

Die Maler der Neuen Sachlichkeit wählen Hinterhöfe, Mansardenzimmer, Dachböden und Keller zu Orten ihrer Darstellung. Nicht, um eine pittoreske Alltagsbetrachtung anzustellen, sondern aus ihrer Selbstreflektion als Künstler und Zeitzeugen, die vom Leben am Rande sprechen, vom Ausschluss, vom Rückzug.

Nehmen wir ein anderes, weniger brutales Bild als Otto Dix' Kriegsdarstellung, nämlich "Mädchen im Mansardenfenster" von Georg Schrimpf. Die junge Frau schaut aus dem eng gesetzten Rahmen ihres Fensters über ein Dach in eine enge, kalte Industrielandschaft, deren Schlote in einen dicht schraffierten, streng geometrischen Himmel übergehen. Allein ihr Blick in die Ferne und ein Blumentopf auf der schmalen Fensterbank spiegeln ihre Träume. Hoffnung ist verbunden mit Hoffnungslosigkeit und Glaube mit Nihilismus. Dies ist die Gefühlswelt der Neuen Sachlichkeit. Ein eindrucksvolles Symbol für diese Haltung sind die Fenster. In zahlreichen Blättern können Sie wahrnehmen, dass diese weder Ein- noch Ausblick bieten.
Bei George Grosz in dem Blatt "Schwimme, wer schwimmen kann" und bei Karl Michels "Madonna im Keller" von 1925, befinden sich diese Fenster in Kastenräumen, in denen die Figuren wie Protagonisten auf einer Bühne vorgestellt werden. Die Außenwelt dringt in diesen Bereich nicht ein. Wenn Sie daneben die Fenster in den Häusern, die Werner Held in seinen Lithografien vorstellt, beachten, sehen Sie, dass auch hier nun in der Umkehrung, kein Einblick gewährt wird. Alexander Kanoldts "Ansichten von Olevano", 1924 und 1926 entstanden, lassen uns in gleicher Weise auf kalte und undurchdringliche Fassaden blicken.

Mit seinen Werken kommen wir zu den italienischen Stadtlandschaften. Die Bilder von Olevano erscheinen zunächst friedlich. Dieser Friede ist aber nur scheinbar. In Wahrheit meint die Stille, die Stadt und Land magisch umgibt, Verlassenheit oder auch eine fast feindlich zu nennende Abschottung. Die Häusergruppen von Olevano, denen wir uns im Vogelflug zu nähern glauben, sind Bastionen. Die wenigen kleinen Fenster erinnern an Schießscharten und bei manchen Häusern suchen wir vergeblich nach Tür und Tor. Wir sind in diesen Bildern ohne einen fixen Standpunkt, schweben in halber Höhe über die Bergstadt und können doch nicht ganz die umliegenden Hänge überblicken, um uns so Orientierung zu verschaffen. Wir haben es also mit einem Pseudopanorama zu tun und erleben diese Welt, von der wir traditionell eine romantische Vorstellung haben, als unwirklich. Diese unwirkliche Deutlichkeit, mit der die Motive kristallisiert werden, steigert wiederum den Eindruck von Leere und Verlassenheit. Es entsteht eine große seelische Distanz zwischen uns als Betrachtern und dem Bildgegenstand dieser Stadt.

Interessant und zur Entschlüsselung der Bildaussage wichtig ist, dass es in dieser Landschaft keinen Mittelgrund gibt. Es fehlt die optische Verbindung zwischen der Stadt im Vorder- und der Hügellandschaft im Hintergrund. Diese Stadt hängt am Abgrund (den wir emotional deuten dürfen und müssen). Auf Karl Holtz' Lithografie "Kleines Städtchen" von 1925 erkennen wir mit unserem nunmehr geschulten Auge eine Straßenflucht. Es wird sofort deutlich, dass sie hier keinen Ausweg bietet, denn am Ende des spitz zulaufenden Weges verwehrt die Mauer einer Kirche den Durchgang. Sie markiert die Ausweglosigkeit des vorgegebenen Weges. Trostlose Passanten dienen als Stimmungsträger. Die topografische Enge wirkt bedrängend und so, wie wir in ihr den Aspekt der Geborgenheit vermissen, erscheint Weite in Kanoldts Werk nicht befreiend, sondern als endloser Ort der Verlorenheit.

Eingefrorene Zeit und extrem langsame Bewegungen, nehmen Einfluss auf unser Sehen. Die Ruhe, die den meisten dieser Werke innewohnt und eine irritierende Schönheit, laden uns einerseits ein zur kontemplativen Werkbetrachtung. Dass uns, sobald wir uns auf sie einlassen, Kälte und Einsamkeit entgegenschlagen, liegt in der Intention dieser so aufregend ambivalenten und präzisen Arbeiten.

 





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Georg Scholz
Georg Scholz: "Zeitungsträger" (1921) Aquarell und Tusche über Bleistift auf Papier
Alexander Kanoldt
Alexander Kanoldt: "Il paese di Bellegra" (1924) Lithografie